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Streit um Holocaust-Gedenken in Thüringen geht weiter

Der Vorstandsvorsitzende der jüdischen Landesgemeinde Thüringen, Reinhard Schramm, hat die Absage einer Rede des Philosophen Omri Boehm zum 80. Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora begrüßt. Er empfinde die Absage als „Erleichterung“, teilte Schramm am Freitag in Erfurt mit.

Der Deutsch-Israeli Boehm hätte am Sonntag auf der zentralen Gedenkveranstaltung in Weimar sprechen sollen. Zuvor hatte der Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens-Christian Wagner, der israelischen Regierung eine Einflussnahme auf das Gedenken auf dem Rücken der Opfer vorgeworfen.

Schramm begründete seine Aussage damit, dass Boehm seiner Meinung nach „nicht das Hauptanliegen unserer Opfer und Überlebenden von Buchenwald in den Mittelpunkt gerückt hätte: Ehrung, Gedenken und Scheitern des ‘Nie wieder!’“ Mit diesem Ausdruck ist gemeint, dass es nie wieder Faschismus geben darf.

Der in Israel geborene Omri Boehm ist Professor für Philosophie an der New Yorker New School for Social Research und Enkel einer Holocaust-Überlebenden. Er versuchte sich in der Vergangenheit für eine Lösung des Nahostkonflikts einzusetzen und gilt als Kritiker der israelischen Regierung. Schramm erklärte, das dürfe nicht der Schwerpunkt der Gedenkrede sein. Allerdings ist nicht bekannt, was der Inhalt von Boehms Rede gewesen wäre.

Gedenkstätten-Direktor Wagner hingegen hatte am Donnerstagabend bei radio3 des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) gesagt: „Einem Enkel einer Holocaust-Überlebenden das Wort zu versagen, das ist wirklich das Schlimmste, was ich in 25 Jahren Gedenkstättenarbeit erlebt habe.“

„Das habe ich noch nie erlebt und ehrlich gesagt, das möchte ich auch nie wieder erleben, tatsächlich gedrängt zu werden“, sagte Wagner weiter. Von Dritten werde Geschichtspolitik auf dem Rücken der Opfer betrieben. Die Gedenkstätte habe dem Druck nachgegeben, um zu verhindern, dass Überlebende in den Streit hineingezogen werden.

Gemeinsam sei entschieden worden, den geplanten Vortrag Boehms zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen, sagte Wagner. Er betonte, an der persönlichen und fachlichen Eignung Boehms als Redner im Rahmen des Gedenkens bestehe keinerlei Zweifel.

Kurz vor dem Jahrestag der Befreiung am 11. April war die geplante Rede des jüdischen Philosophen abgesagt worden. Die Einladung wurde aufgrund eines sich anbahnenden Konflikts mit der israelischen Regierung zurückgezogen. Der Landesgemeinde-Vorsitzende Schramm äußerte in seiner Mitteilung Verständnis für die Kritik der israelischen Botschaft.

Die Festrede wird jetzt Altbundespräsident Christian Wulff halten. Von der Bundesregierung kam kein direkter Kommentar. Der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner betonte am Freitag in Berlin, dass die Gedenkstätten in „ihrer Arbeit in vollkommener Freiheit ohne die Bedrängung staatlicher Institutionen oder gesellschaftlicher Gruppen nachgehen können“. Das bedeute auch, „dass die Gedenkstätten ihre Gesprächspartner frei wählen können müssen“.