Die Empörung ist groß. So viele Spenden für Notre Dame. Innerhalb von zwei Tagen kam eine Milliarde Euro zusammen. Bei aller Betroffenheit über den furchtbaren Brand in Paris machte sich da schnell Unmut breit. Auf der Straße, im Internet und in vielen Medien wurde geschimpft: Das kann doch nicht angehen. Humanitäre Projekte haben es oft so schwer, Unterstützung zu bekommen. Aber für ein Gebäude, wenn auch ein bedeutendes, wird soviel Geld gespendet.
Kritik wurde laut, etwa an der Familie Pinault, die noch am Abend des Feuers 100 Millionen Euro für den Wiederaufbau der Kathedrale zusagte. Warum bekommt eine Organisation wie Sea-Watch nicht die gleiche Unterstützung? Der Verein rettet Flüchtlinge im Mittelmeer und kämpft um die nötigen Spenden.
Auch andere Vergleiche wurden angestellt. So steht für Notre Dame nun mehr Geld zur Verfügung, als für die fünf größten Projekte des Internationalen Roten Kreuzes zusammen. Und 2004 brauchte es dreimal so lange, um den gleichen Betrag für die Opfer des großen Erdbebens im Indischen Ozean zu sammeln. Dabei kamen allein an der Küste Sumatras 165 000 Menschen ums Leben.
Experten hatten schnell Erklärungen parat: Katastrophen mit starker symbolischer und medialer Wirkung fördern die spontane Spendenbreitschaft. Notre Dame in Flammen. Was da geschieht, ist leicht zu erfassen. Das Elend in komplizierten Konflikten in fernen Ländern ist viel schwieriger zu vermitteln. Wenn eine bedeutende Kirche brennt, muss man keine komplexen Zusammenhänge begreifen. Langwierige Krisen machen ratlos.
In Paris ist die Sache viel klarer: Etwas ist kaputt und wird wieder aufgebaut. Da wird der Zweck einer Spende greifbar. Und die Bedeutung von Notre Dame als kulturelles Erbe und nationales Symbol steigert diesen Effekt noch.
Der Frust derer, die sich weltweit mühsam für Frieden und humanitäre Hilfe einsetzen, ist nachvollziehbar. Dennoch hat die aktuelle Empörung etwas Anstrengendes. Sie klingt zuweilen wie ein Wettbewerb: Wer spendet für den besseren Zweck? Und wer ist damit moralisch überlegen? Auch ist zu bezweifeln, dass alle, die die französischen Geldgeber jetzt so heftig kritisieren, selbst etwas für eine „gute Sache“ spenden. Notsituationen sollte man nicht gegeneinander ausspielen. Jeder kann doch selbst einen Zweck seiner Wahl großzügig fördern.
Vom Kirchenvater Augustinus wird der Ausspruch überliefert: „Liebe, und tue, was du willst.“ Für ihn konnte die Bibel auf die beiden Gebote der Gottesliebe und der Nächstenliebe reduziert werden. Danach ist der Glaube eine wichtige Motivation, um zu helfen, wo es nötig ist. Dafür müssen andere aber nicht niedergemacht werden.
Wenn das Herz für etwas brennt, ist das gut. Und wenn dann auch praktisch geholfen wird, ist es noch besser. Ob für eine zerstörte Kirche, für Menschen im Mittelmeer oder für die Suppenküche nebenan.
Was dagegen nicht geht: Andere kritisieren, aber selbst nichts tun.