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Staat verletzt laut Gutachten Pflicht beim Rettungsdienst

Ein Rechtsgutachten sieht erhebliche strukturelle Mängel und Pflichtverletzungen beim Rettungsdienst – sowohl beim Bund als auch bei den zuständigen Ländern. Reformen seien dringend nötig.

Das Rettungswesen in Deutschland ist einem Rechtsgutachten zufolge in der Krise und Bund und Länder kommen ihrer Schutzpflicht nicht ausreichend nach. Zwar funktioniere das Rettungssystem in vielen Regionen, aber es gebe erhebliche qualitative Unterschiede in der Fläche, sagte der ehemalige Bundesverfassungsrichter Udo di Fabio als Gutachter der Björn-Steiger-Stiftung am Donnerstag in Berlin. Das zeige sich vor allem bei der Länge der Hilfsfristen, also dem Zeitraum bis zur Ankunft der Rettungskräfte vor Ort.

Der Staat habe aus verfassungsrechtlicher Sicht eine Schutzpflicht, erläutere di Fabio. Diese bestehe vor allem, da Bund und Länder das Rettungssystem selbst entwickelt hätten und die hohen Kosten von zuletzt mehr als 12 Milliarden Euro im Kern durch die gesetzlichen Krankenversicherungen finanzierten. Zugleich liege die Zuständigkeit für den Rettungsdienst bei den Ländern.

“Der Bund muss seine Steuerungsverantwortung per Gesetz stärker wahrnehmen”, so di Fabios Forderung. Er habe das Recht und die Pflicht, Rahmenbedingungen und Mindeststandards festzulegen. Die Länder sollten in der Verantwortung bleiben, aber sie hätten die Pflicht den Rettungsdienst zu pflegen und weiterentwickeln.

Der Präsident der Björn-Steiger-Stiftung, Pierre-Enric Steiger, beklagte, der deutsche Rettungsdienst sei auf dem Niveau von Entwicklungsländern. Die Stiftung seiner Eltern sei 1969 nach dem Unfalltod seines damals achtjährigen Bruders Björn gegründet worden. Seither habe die Stiftungen zahlreiche Standards vorangetrieben, so etwa die Leitstellen und die Ausstattung der Rettungswagen. Doch in den vergangen Jahren habe Deutschland den Anschluss verpasst. Insbesondere die Leitstellen müssten bundesweit dringend weiterentwickelt werden.

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete und Notfallmediziner, Janosch Dahmen, beklagte eine bislang schlechte Vernetzung der einzelnen Akteure im Rettungsdienst. In dringenden Notfällen müsse die Reaktionszeit deutlich verbessert werden. Dagegen brauche es andere Versorgungsstrukturen für weniger dringende Notfälle, etwa das Wechseln eines Dauerkatheters im Pflegeheim.

Am Mittwoch hatte das Bundeskabinett den Entwurf einer Reform der Notfallversorgung verabschiedet. Diese sieht unter anderem eine bessere Vernetzung von Leitstellen, niedergelassenen Ärzten und Notaufnahmen vor. Die ebenfalls geplante Reform des Rettungsdienstes soll nicht wie ursprünglich geplant in ein eigenes Gesetz münden. Stattdessen sollen einzelne Aspekte, etwa bundeseinheitliche Standards, im Laufe der Bundestagsberatungen in die Notfallreform einfließen.

Aus Sicht der Steiger-Stiftung ist dies ein erster Ansatz, aber die Reform müsse dringend weiterentwickelt werden. “Uns läuft die Zeit davon”, sagte der Geschäftsführer der Stiftung, Christoph Chwojka.