Christen und Kurden in Nordsyrien vor dem Aus? Die Gesellschaft für bedrohte Völker warnt vor schwerwiegenden Folgen der aktuellen Rebellenvorstöße. Die Türkei trage daran Verantwortung – und Deutschland Mitschuld.
Der Vormarsch mutmaßlich islamistischer Rebellen in Nordsyrien bedroht nach Ansicht von Menschenrechtlern das Leben der Kurden in der Region. “Mit den aktuellen Angriffen der Türkei und ihrer islamistischen Söldner auf die letzten von Kurden bewohnten Ortschaften im Norden Aleppos ist das Ende der kurdischen Existenz faktisch eingeleitet”, sagte der Nahostreferent der Gesellschaft für bedrohte Völker, Kamal Sido, am Montag in Göttingen. Nach Angaben der Kurdischen Gemeinde in Deutschland gibt es bereits gezielte Übergriffe gegen Angehörige der ethnischen Minderheit in der Region.
Die Gesellschaft für bedrohte Völker weist darauf hin, dass der Aufstand gegen die Assad-Regierung in der Region inzwischen von radikalen Islamisten wie dem IS und Al-Kaida unterlaufen worden sei. Von diesen gehe eine Gefahr für alle Minderheiten aus, neben Kurden auch für christliche Gemeinschaften wie Armenier und Aramäer in der Region. “Mit den Islamisten wird es noch schlimmer um die Menschenrechte, um die Rechte der Minderheiten bestellt sein. Vor allem für die Frauen wird es eine Katastrophe”, warnte Sido und forderte stattdessen mehr Unterstützung für die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF).
Der Menschenrechtler wirft der ehemaligen sowie der aktuellen Bundesregierung schwere Verfehlungen in der Syrienpolitik sowie im Umgang mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vor. “Seit Beginn der syrischen Revolte haben diese Regierungen aus geopolitischen Interessen nicht auf demokratische, säkulare Kräfte, sondern auf Empfehlung Erdogans auf sunnitisch-islamistische Gruppen gesetzt”, erklärte Sido. Die Zivilbevölkerung und insbesondere die Minderheiten in Syrien würden von der Türkei und der Nato einerseits und von Russland und dem Iran andererseits für geopolitische Interessen geopfert.
Nach Angaben der Kurdischen Gemeinde müssten rund 300.000 Menschen, die 2018 von der Türkei auf des Region Afrin im Nordwesten vertrieben wurden, nun erneut vor den Milizen fliehen. Gleichzeitig werde ihnen aber die Rückkehr nach Afrin vom türkischen Militär verwehrt. “Die Kurden in Syrien dürfen in dieser kritischen Situation nicht allein gelassen werden”, betonte der stellvertretende Generalsekretär der Kurdischen Gemeinde Deutschland, Fawzi Dilbar. Die internationale Gemeinschaft forderte er auf, Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung zu ergreifen sowie die politische Anerkennung der kurdischen Institutionen zu bewirken. “Untätigkeit würde nicht nur eine neue humanitäre Katastrophe heraufbeschwören, sondern auch dieStabilität der gesamten Region weiter gefährden”, warnte Dilbar.
Die Rebellen in Syrien hatten am Wochenende die Metropole Aleppo eingenommen und sind weiter auf dem Vormarsch in Nordsyrien. Sie bestehen Augenzeugenberichten zufolge hauptsächlich aus Saudis, Tschetschenen, Pakistanern und russischen Muslimen.