Zum Tag der Pressefreiheit am 3. Mai werfen wir einen kritischen Blick auf die eigene Branche: Wie unabhängig sind kirchliche Medien heute?
Von Markus Kowalski„Das geht gar nicht“, denkt Monika Herrmann, als sie ihre E-Mails liest. Sie ist verärgert über die Antwort ihrer Gesprächspartnerin. Denn von dem, was im persönlichen Gespräch gesagt wurde, ist nicht mehr viel übrig. Herrmann ist freie Journalistin. Für „die Kirche“ sollte sie vor einigen Monaten ein Interview mit einer Frau aus dem Amt für kirchliche Dienst (AKD) führen. Die Interviewpartnerin wollte vor dem Abdruck noch einmal den Artikel sehen – und schrieb ihn um.
Solche Situationen erleben wir in der Redaktion von „die Kirche“ regelmäßig. Interviews werden von den GesprächspartnerInnen nachträglich umgeschrieben, unbequeme Fragen und womöglich zu ehrliche Antworten wieder gestrichen. Ein spannendes Gespräch wird langweilig. Wieso ist das so?
Monika Herrmann schreibt seit rund 40 Jahren für kirchliche Medien. „Was ich verstärkt wahrnehme, ist, dass die Angst der Kirchenvertreter größer geworden ist“, sagt sie. Nach der Wende hätten die Vertreter der Kirchen aus dem Osten geradezu gedrängelt, den Beitrag vor der Veröffentlichung noch mal lesen zu können. „Da habe ich nur gesagt: Die Zeit des ‚Neuen Deutschland‘ ist vorbei!“
Keine Freiheit ohne Pressefreiheit, daran soll am 3. Mai erinnert werden. Die Presse in der heutigen Bundesrepublik gilt als relativ frei: „Reporter ohne Grenzen“ listet Deutschland im internationalen Vergleich aktuell auf Rang 15. Doch wie unabhängig berichten kirchliche Medien? Wir haben darüber mit KollegInnen aus den Redaktionen der Republik gesprochen.
Die Suche nach der Antwort beginnt in Berlin, im roten Backsteinhaus des Konsistoriums der EKBO, in dem auch die Redaktion dieser Zeitung arbeitet. Hier sitzt eine Journalistin an ihrem Computer, öffnet die E-Mails und bekommt eine erstaunliche Nachricht. Sie wollte Zitate für einen Mann in hoher kirchlicher Leitungsfunktion autorisieren lassen. Dabei gab es Unstimmigkeiten. Der Mann war davon ausgegangen, vorher alles gegenlesen zu können. Er schreibt: „Bei einer Kirchenzeitung ist es ohnehin noch etwas anders als bei einer institutionell nicht so stark verorteten, in anderer Weise freien Presse.“ Scheinbar gehen manche in der Leitung der Landeskirche davon aus, dass ihre Kirchenzeitung kein unabhängiges Medium ist – sondern Teil der Öffentlichkeitsarbeit.
Im Norden der Republik ist man dagegen darauf bedacht, unabhängig zu sein. In Schwerin leitet Tilman Baier seit 1993 als Chefredakteur die „Mecklenburgische Kirchenzeitung“. Die Redaktion bemüht sich um eine „kritischer Solidarität“ als Grundhaltung gegenüber kirchenleitenden Gremien, wie er sagt. „Das bedeutet, dass wir genau hingucken, wenn wieder die nächste Strukturreform bejubelt wird.“ Schwierig werde es, wenn die professionelle Distanz fehle. Vor allem an der Gemeindebasis bestellten schon mal LeserInnen die Zeitung ab, wenn kritisch über Vorgänge in ihrer Kirchengemeinde berichtet wird. Baier bleibt trotzdem dabei: Seine Kirchenzeitungen, zu denen seit 2017 auch die für Niedersachsen, Hamburg und Schleswig- Holstein gehören, sollen so unabhängig wie möglich sein.
In Bayern sagt man dazu „kritische Loyalität“, wie Helmut Frank, Chefredakteur des „Sonntagsblatt“, erzählt. Man berichte nach journalistischen Kriterien, nicht nach kirchlichen. Deswegen behandle man alle Kirchenmitglieder gleich, ohne Unterschiede in der Hierarchie: „Egal, ob Bischof oder Kirchenvorsteher anrufen und sich beschweren, wir sind nur dem Evangelium und unseren christlichen Werten verpflichtet.“ In seinem Haus habe es immer wieder Versuche der Einflussnahme auf die Berichterstattung gegeben oder wie es dann heißt, „gut gemeinte Ratschläge, was wir anders machen sollen“. Doch für ihn ist klar: „Wenn ein Konfliktgespräch nötig ist, dann muss der Oberkirchenrat zu uns in die Redaktion kommen, nicht umgekehrt“, sagt Frank.
Was es bedeutet, viel Kritik aushalten zu müssen, weiß Andreas Roth. Der Redakteur für den „Sonntag“ in Sachsen berichtete ausführlich und kritisch über die Strukturreform der sächsischen Landeskirche. „Da wurde mir vorgeworfen, ich sei der erste Oppositionelle der Landeskirche.“ Als er im vergangenen Jahr eine Recherche zur sächsischen Diakonie-Stiftung veröffentlichte, ging eine „Bombe“ hoch, wie er berichtet: „Da wurde mit harten Bandagen gegen meine Berichte gekämpft.“ Für ihn ist es eine Haltungsfrage: „Wenn der Bischof anruft und meine Berichte kritisiert, dann muss ich klar sagen, dass er keine Macht darüber hat. In gewisser Weise dürfen wir JournalistInnen da keine Schwäche zeigen.“
Von „Haltung“ sprechen auch JournalistInnen, die für weltliche Medien über Kirche berichten. Und noch ein Begriff fällt in den Gesprächen oft: Kontrollfunktion. „Beide Kirchen bekommen viel Geld, haben politischen Einfluss, da muss man schon wachsam sein“, sagt Christiane Florin. Sie arbeitet beim Deutschlandfunk in Köln in der Redaktion „Religion und Gesellschaft“. Die Nervosität in den Kirchen erinnert sie an die Politik: „Volkskirchen und Volksparteien sind in der Krise. Beide Seiten neigen dazu, sich aneinanderzuklammern.“
Auch Florin sieht das Dilemma, in dem die Kirchen und ihre Presse stecken: „Kirchlich Verantwortliche sind schon sehr dünnhäutig, was Kritik betrifft, weil sie spüren, dass der gesellschaftliche Einfluss der Kirchen schwindet“, sagt sie. Deshalb werde von der Kirchenpresse erwartet, loyal gegenüber „den eigenen Leuten“ zu sein und die kirchliche Gemeinschaft zu bestärken. Kritische Berichterstattung sei in kirchlichen Medien daher schwer möglich: „Was als Journalismus etikettiert ist, ist eigentlich Teil der Verkündigung“, sagt Florin. „Wenn man ehrlich ist, ist Journalismus, der sich kritisch mit kirchlichen Amtsträgern auseinandersetzt, schwierig, wenn diese Amtsträger die Geldgeber sind.“
Dass es den Kirchenleitenden nicht gefällt, wenn sie kontrolliert werden, beobachtet auch Matthias Drobinski, Redakteur für Kirchen und Religionsgemeinschaften bei der „Süddeutschen Zeitung“. Er bemerkt bei den Verantwortlichen in der Kirche eine Ängstlichkeit, die den kritischen Diskurs fürchtet. „Doch das Kirchenvolk ist reifer, als manch einer denkt. Die halten den Widerspruch aus.“
Mehr Pressefreiheit in der Kirchenzeitung – das wollen auch unsere KundInnen. In der LeserInnen- Umfrage am Anfang des Jahres gaben 46 Prozent der Teilnehmenden an, dass sie sich mehr kontroverse Diskussionen wünschen. Rund ein Viertel der Befragten sagte, dass sie die Zeitung unkritisch finden. „Werden Kirchenzeitungen zum langen Arm der landeskirchlichen Öffentlichkeitsarbeit, ist das der sichere Weg in den Untergang“, sagt Drobinski.