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Sexualisierte Gewalt: Acht Verdachtsfälle in der bremischen Kirche

In der Bremischen Evangelischen Kirche gab es zwischen 1946 und 2020 acht Verdachtsfälle von sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch. Das ist das Ergebnis von Recherchen in 850 Personalakten von Pfarrpersonen, die in ihrem Dienst gestanden haben, wie die Kirche am Donnerstag mitteilte. Das seien alle Personalakten von Pfarrpersonen der Landeskirche, die Seite für Seite untersucht worden seien, hieß es auf Nachfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd).

Außerdem sind den Angaben zufolge Aussagen von Betroffenen und Zeitzeugen eingeflossen. Gesucht worden sei nach Hinweisen auf Grenzverletzungen und Disziplinarmaßnahmen. Die Ergebnisse der Untersuchungen wurden an die Autoren der ersten unabhängigen Studie über sexuellen Missbrauch in der evangelischen Kirche und der Diakonie in Deutschland übermittelt. Diese sogenannte ForuM-Studie wurde am Donnerstag in Hannover vorgestellt, in der von bundesweit mindestens 2.225 Betroffenen und 1.259 mutmaßlichen Tätern die Rede ist. Das sei jedoch nur die „Spitze der Spitze des Eisbergs“.

Bei den Bremer Verdächtigen handelte es sich den Angaben zufolge um acht Personen, darunter sechs Pastoren sowie ein Diakon und eine weibliche Mitarbeiterin in einem Heim. Mit Blick auf die Betroffenen hieß es, einige hätten nicht mehr identifiziert werden können.

Schlagzeilen machte in der Vergangenheit bereits der Fall des Bremer Dompredigers Günter Abramzik (1926-1992). Abramzik soll sich in den 1970er-Jahren gegenüber jungen Männern grenzverletzend verhalten haben. Nach derzeitigem Kenntnisstand sind der Kirche zufolge 14 Personen in unterschiedlicher Weise von Übergriffen betroffen.

Die ForuM-Studie benannte auch Risikofaktoren für sexuelle Gewalt in der evangelischen Kirche und Diakonie wie die föderale Struktur der Kirche, keine aktive Aufarbeitung und ein progressives Selbstbild. „Nur wenn wir wissen, welche strukturellen Ursachen es für sexualisierte Gewalt gibt, können wir diesen Übergriffen für die Zukunft vorbeugen“, sagte die Bremer Kirchenpräsidentin Edda Bosse.

In der Bremischen Evangelischen Kirche gibt es eine Meldestelle und eine Ansprechstelle, „wo Betroffenen und ihren Erlebnissen in einem geschützten Raum mit Respekt begegnet wird“, hieß es. Jedem Anfangsverdacht werde nachgegangen, die Ermittlungsbehörden würden umgehend eingeschaltet. Schon länger gebe es in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) eine Anerkennungskommission, der aus Bremen bisher drei Anträge vorgelegt worden seien. Insgesamt seien in diesen Zusammenhängen 35.000 Euro Anerkennungsleistungen gezahlt worden.

Die ForuM-Studie liefert den Forschern zufolge „deutliche Belege“ für ein hohes Ausmaß sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und diakonischen Werken. Die Rede ist EKD-weit von 2.225 Betroffenen und 1.259 mutmaßlichen Tätern. Dies sei aber nur „Spitze der Spitze des Eisbergs“. In einer Hochrechnung, die aus Sicht des Forscherteams mit „sehr großer Vorsicht“ betrachtet werden muss, ergäbe sich eine Zahl von insgesamt 9.355 Betroffenen bei geschätzt 3.497 Beschuldigten.