Weiße und schwarze Kinder gemeinsam im Schulunterricht – in den USA ist das flächendeckend seit 1954 geboten. Dadurch soll auch die Chancengleichheit gestärkt werden. Doch es zeichnet sich eine andere Entwicklung ab.
Über die gesellschaftliche Spaltung in den USA wird in diesem Jahr absehbar wieder viel gesprochen werden, spätestens wenn es im November auf die Präsidentschaftswahlen zu geht. Joe Biden gegen Donald Trump, so stellen es auch die Lager selbst dar, wird auch ein Kampf der Gegenkräfte: Links gegen Rechts, Stadt gegen Land und nicht zuletzt Schwarz gegen Weiß.
Dennoch dürfte gerade der vermeintliche Gegensatz Schwarz und Weiß wieder eine große Rolle spielen, nicht zuletzt, weil sich in diesem Sommer auch der Erlass des Civil Rights Act, der die Rassentrennung in den USA formell beendete, zum 70. Mal jährt. Allerdings ist nicht erst durch die Bewegung “Black Lives Matter” der vergangenen Jahre deutlich geworden: Zumindest in vielen Köpfen ist das Schwarz-Weiß-Denken weiterhin präsent.
Ein zentraler Sektor in diesem Zusammenhang ist die Bildung. Tatsächlich ging die Aufhebung der Rassentrennung an Schulen dem Civil Rights Act voraus und war für die damalige Bürgerrechtsbewegung ein wichtiger Meilenstein. Vor nunmehr 70 Jahren, am 17. Mai 1954, entschied der Oberste Gerichtshof der USA im Urteil “Brown vs. Board of Education”, dass Bildungseinrichtungen für Schülerinnen und Schüler getrennt nach Hautfarben gegen den Gleichheitsgrundsatz der US-Verfassung verstoßen. Folglich sind staatliche Schulen seitdem verpflichtet, Kinder aller Hautfarben gemeinsam zu unterrichten.
Faktisch betroffen von dem Urteil waren damals aber nicht alle Bundesstaaten gleichermaßen. Bis dato war die Rassentrennung an Schulen über die Staatsgrenzen nicht einheitlich geregelt. Während sie vor allem im Norden teilweise verboten oder zumindest ohne feste Regeln blieb, war sie in den Südstaaten vorgeschrieben. Der Grundsatz lautete hier “Separate but Equal” (“getrennt aber gleich”), der seit dem Grundsatzurteil “Plessy vs. Ferguson” des Obersten Gerichtshofes von 1896 galt. Damals stellten die Richter noch das genaue Gegenteil von 1954 fest, nämlich, dass getrennte Abteile für schwarze und weiße Menschen eben nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz verstießen.
“Plessy vs. Ferguson” hatte in den Südstaaten eine verheerende Wirkung. Die weiße Oberschicht nahm das Urteil zum Anlass, in den folgenden Jahren die sogenannten Jim-Crow-Gesetze zu initiieren. “Jim Crow” stand dabei als rassistischer Stereotyp für den unbeschwerten, aber auch arbeitsscheuen und leicht tumben Afro-Amerikaner. Diese Gesetze weiteten die Rassentrennung auf andere Bereiche der Öffentlichkeit aus, wie das Gesundheitswesen oder eben auch die Schulen. Zwar musste dabei formell der Grundsatz “Separate but Equal” bestehen bleiben, er war in der Realität aber nicht mehr als ein Deckmantel.
Das Grundsatzurteil des Höchsten Gerichts “Brown vs. Board of Education” bedeutete schließlich einen Paradigmenwechsel und öffnete den Weg für weitere Urteile und Gesetze zur Abschaffung der Rassentrennung.
Eine wirkliche Chancengleichheit für Schülerinnen und Schüler unabhängig von Herkunft und Hautfarbe konnte “Brown vs. Board of Education” jedoch auch nach 70 Jahren nicht erreichen. Denn die Verpflichtung für öffentliche Schulen, Kinder jeder Hautfarbe aufnehmen zu müssen, führte bei vielen Vertretern der weißen Oberschicht dazu, dass sie ihren Nachwuchs auf kostspielige Privatschulen schickten. So stellte der US-Soziologe und Pulitzerpreisträger Matthew Desmond in seinem jüngsten Buch “Armut. Eine amerikanische Katastrophe” fest, dass 2022 nur 16 Prozent der Schüler an staatlichen Schulen weiß waren, der Anteil der Weißen an der Bevölkerung aber bei fast 60 Prozent lag.