In Westpapua kommt es immer wieder zu schweren Menschenrechtsverletzungen, darunter außergerichtlichen Tötungen, Folter, Auflösung von friedlichen Versammlungen und willkürlichen Verhaftungen von Aktivisten. Das Westpapua-Netzwerk setzt sich seit 1996 für Frieden und Gerechtigkeit in Westpapua ein. Die VEM ist Gründungsmitglied dieses Forums. Seit knapp sieben Jahren koordiniert Norman Voß das Westpapua-Netzwerk mit Sitz in Wuppertal. Brunhild von Local sprach mit dem Westpapua-Experten.
• Was ist der richtige Begriff: Westpapua, Papua, Provinz Westpapua oder Region Papua?
Westpapua bezeichnet die westliche Hälfte der Insel Neuguinea, nördlich von Australien. Es ist seit 1969 Teil Indonesiens, aber zugleich auch ein Wort mit vielen politischen Bedeutungen. Nachdem Indonesien die Region in zwei Provinzen aufgeteilt hat – gegen den Willen vieler Papua –, gibt es nun auch noch die Provinz Westpapua, die nur einen Teil des geographischen Gebiets Westpapua ausmacht, zusammen mit der Provinz Papua. Für behördliche Belange spricht man also von zwei Provinzen, aus Sicht der Bevölkerung aber gibt es das Selbstverständnis einer Region und einer ethnischen Identität. Aus der Sicht vieler Indonesier ist Westpapua ein kulturell ganz besonderer, aber integraler Teil ihres Landes. Aus der Sicht vieler Menschen in pazifischen Nachbarstaaten steht Westpapua für eine der letzten pazifischen Regionen, die noch keinen Dekolonialisierungsprozess durchlaufen haben.
• Westpapua wurde 1969, also vor genau 50 Jahren, durch einen zweifelhaften Volksentscheid oder durch ein manipuliertes Referendum Indonesien eingegliedert. Seitdem kämpft dieser indonesische Teil Neuguineas um die Unabhängigkeit.
Das ist richtig. Die große Mehrzahl der Papua erklärt immer wieder, dass sie die Wurzel ihrer oft als Unterdrückung erlebten Situation in der fehlenden politischen Unabhängigkeit sieht. Seit der Ankunft der Niederländer hatten indigene Papua bis heute nicht wirklich die Möglichkeit, ihre Zukunft frei zu bestimmen. Das New Yorker Abkommen von 1962 zwischen den Niederlanden, Indonesien und den USA sah vor, dass die Niederländer die Verwaltung erst an die UN und diese die Verwaltung dann an Indonesien übergeben müsse. So geschah es auch. Welche Meinung die Menschen vor Ort dazu hatten, sollten sie dann nach sieben Jahren indonesischer Verwaltung erklären dürfen. Das Abkommen sieht vor, dass alle Erwachsenen, die schon 1962 in Papua lebten, an der Abstimmung teilnehmen dürften und dass die Menschen sich frei entscheiden können sollten, ob sie in Indonesien verbleiben oder unabhängig werden wollten. Zu diesem Referendum kam es aber nicht. Stattdessen wurde eine Gruppe von 1024 Papua ausgewählt, mit Geschenken und Einschüchterungen überhäuft bzw. ausgewechselt, bis das Ergebnis im indonesischen Sinne stimmte.
• Was waren die jüngsten Aktionen der Unabhängigkeitsbewegung und wie hat die indonesische Regierung darauf reagiert?
Nach den ersten Jahrzehnten massiven Widerstands der Papua, der mit noch mehr Gewalt durch das indonesische Militär beantwortet wurde, mäßigten sich die Mittel auf beiden Seiten. Seit den 2000er-Jahren bemühten sich Kirchen und Zivilgesellschaft um einen friedlichen Dialog, um den Konflikt zu beenden. Auf den ließ sich Indonesien aber nur in Teilen ein, während Menschenrechtsverletzungen ungemindert weitergingen. In den letzten Monaten zog der bewaffnete Teil der Unabhängigkeitsbewegung zunehmend den Schluss, dass man durch friedvolles Agieren nichts erreichen würde. Es ist sehr bedauerlich, dass es so weit kam. Am 2. Dezember wurden Dutzende Straßenbauarbeiter des Militärs von der Befreiungsarmee erschossen. Das indonesische Militär reagierte mit massiven Operationen, bei denen – wie zu erwarten – die Zivilbevölkerung stark betroffen wurde.
• Wie schätzen Sie zurzeit die Chancen auf eine neuerliche Abstimmung über die Unabhängigkeit Papuas ein?
Das wird nicht gegen den Willen der Indonesier geschehen können. Bisher wurde die Verletzung des New Yorker Abkommens noch nicht vor den Internationalen Gerichtshof der Vereinten Nationen gebracht. Sollte ein Staat sich dafür entscheiden, würde zumindest die Diskussion dazu in Gang gebracht werden. Es gibt inzwischen auch eine noch sehr kleine, aber wachsende zivilgesellschaftliche Bewegung unter den Indonesiern, die eine Unabhängigkeit Westpapuas befürworten, um geschehenes Unrecht wiedergutzumachen. Viele Kirchen im Pazifik sind Feuer und Flamme für die Idee, da die Menschen dort – zum Beispiel in Vanuatu – sich selbst erst in der jüngeren Geschichte von einer Kolonialmacht (Vereinigtes Königreich bis 1980) unabhängig machten. Viele Papua fordern, dass Westpapua in die UN-Liste der Hoheitsgebiete ohne Selbstregierung, wie Neukaledonien, Französisch-Polynesien, Amerikanisch-Samoa oder Guam, aufgenommen wird. Auch das müssten am Ende UN-Mitgliedsstaaten dann gegen Indonesien durchsetzen.
Ich habe aber aufgehört, die Frage nach der Zukunft einer Unabhängigkeit zu stellen. Die Unabhängigkeit kommt oder sie kommt nicht. Wichtig für uns ist, dass die Menschenrechte der Betroffenen auf dem Weg in ihre Zukunft gewahrt werden, wie immer diese aussehen mögen. Dazu zählt das Recht, seine politische Meinung mit friedlichen Mitteln zu äußern, keiner rassistischen Diskriminierung oder Gewalt ausgesetzt zu werden und Zugang zum höchstmöglichen Gesundheitsstandard zu haben, den der Staat mit öffentlichen Dienstleistungen anzubieten vermag. Ebenso Bildung.
• Das rohstoffreiche Westpapua mit seinen enormen Vorkommen an Gold, Kupfer und Erdgas wird seit über 50 Jahren von der indonesischen Regierung ausgebeutet; die Kultur der indigenen Bevölkerung unterdrückt und der weltweit drittgrößte Regenwald zerstört. Was kann die Evangelische Kirche in Westpapua, eine Mitgliedskirche der VEM, dagegen machen? Welche Maßnahmen kann sie ergreifen, um die demokratischen Freiheiten und Menschenrechte zu schützen?
Die Evangelische Kirche GKI-TP hat ein Büro für Menschenrechtsarbeit. Pfarrerin Dora Balubun leitet dieses seit vielen Jahren. Das Büro unterstützt Opfer im gerichtlichen Prozess, vermittelt zwischen Konfliktparteien und dokumentiert Menschenrechtsverletzungen. Leider ist der Zugang zu vielen abgelegenen Gebieten sehr schwer und gut ausgebildete Anwälte, die bei den Opfern Vertrauen finden und bereit sind, die entbehrungsreiche Menschrechtsarbeit zu machen, schwer zu finden.
• Wie kann das Westpapua-Netzwerk helfen? Was braucht es, um Menschenrechte und demokratische Freiheiten in Westpapua zu entwickeln? Und wie kann die Zivilgesellschaft helfen, diese voranzubringen?
Als im Ausland ansässige Organisation versuchen wir die Barriere, die es durch den fehlenden freien Zugang für Journalisten und Beobachter gibt, zu überbrücken. Es ist den Papua und auch uns wichtig, dass man in Deutschland um ihre Situation weiß. Wir wollen, dass Deutschland seine durchaus engen Beziehungen zu Indonesien nicht nur nutzt, um der Waffenindustrie in Deutschland Einkommen zu verschaffen, sondern auch, um sich für die Menschenrechte und eine friedliche Konfliktlösung einzusetzen. Die EU strebt einem Freihandelsabkommen mit Indonesien entgegen. Politisch brisante Themen wie die Situation in Westpapua sind für Handelsdiplomaten auf beiden Seiten eher lästig. An solchen Stellen wünschen wir uns mehr Engagement von deutscher Seite. Aber auch durch Briefaktionen der deutschen Öffentlichkeit konnten wir in bestimmten Fällen einiges an den Regierungen vorbei in Bewegung bringen. Indonesien weiß heute, dass die Welt – wenn auch noch mit kleinen Augen – darauf schaut, was in Westpapua geschieht. Das hilft den Papua sehr. Wir hoffen, dass diese Augen noch größer werden. Schauen Sie mal auf www.westpapuanetz.de oder melden Sie sich bei unserem E-Newsletter an.
• Wie reagiert die internationale Gemeinschaft auf die Situation in Westpapua? Sind die Reaktionen angemessen?
Wegen der geostrategischen Relevanz Indonesiens und seiner potenziellen Relevanz als Handelspartner sind viele Staaten bemüht, positive Beziehungen mit Indonesien aufzubauen. Das ist ja auch erst mal gut. Leider wissen Staaten dann oft nicht so recht ihre Menschenrechtsperspektive in diese Beziehung richtig einzubringen. Viele Staaten scheuen sich, öffentlich das Wort oder Thema „Westpapua“ in den Mund zu nehmen und Indonesien damit zu brüskieren. Es wird eher am Rande mal erwähnt, zumal man mit Konflikten im Nahen Osten oder in Afrika bereits sehr beschäftigt ist. Anders halten es da die Pazifikstaaten, die teilweise vehement bei den Vereinten Nationen dazu Wortführer sind.
• Haben sich die Bedingungen für die Zivilgesellschaft in Westpapua in den vergangenen Jahren verbessert oder verschlechtert, und warum?
Für die Menschenrechtsorganisationen hat sich die Lage nicht wirklich verbessert. Menschenrechtsverteidiger erleben immer noch oft Verfolgung, Einschüchterung oder Gewalt. Oft wird ihnen Separatismus vorgeworfen. Oft sieht es sogar so aus, als würde immer aggressiver gegen sie vorgegangen. Viele Organisationen entscheiden sich dann dafür, die weniger brisanten Themen anzufassen. Bei den zivilgesellschaftlichen Organisationen aus dem politischen Bereich sieht es noch ernster aus. Der Jugendbewegung Westpapua-Nationalkomitee (KNPB) wurde kürzlich in der Asmat-Region das Büro angezündet. Ihre Mitglieder werden oft verhaftet. Einen positiven Trend kann ich da im Moment nicht erkennen. Mit Hinblick auf die kommenden Wahlen in Indonesien wird sich das wohl auch nicht verbessern.