RBB und MDR sitzen auf einem Schatz aus Originalaufnahmen der Wendezeit – und verstecken sie leider im Nachtprogramm. Dabei gibt das Material Aufschluss über Stimmung, Hoffnungen und Konflikte der damaligen Akteure.
Der 9. November 1989 wird in Deutschland für immer als Tag der Maueröffnung im Gedächtnis bleiben. Doch parallel zur legendären Pressekonferenz, auf der Gunther Schaboswki den berühmten Zettel mit den neuen Reiseregelungen zückte und “das gilt nach meinen Informationen ab sofort, unverzüglich” sagte, fand noch ein anderes bemerkenswertes, heute aber eher vergessenes Treffen statt.
Auf Einladung der Kirche trafen sich ebenfalls in Berlin-Mitte Kirchenvertreter, Bürgerrechtler, aber auch Mitglieder von SED und Blockparteien, um über die Zukunft zu diskutieren. Die Französische Friedrichstadtkirche ist gerammelt voll und die Stasi mittendrin, als der spätere Brandenburger Ministerpräsident und damalige evangelische Konsistorialpräsident Manfred Stolpe, der das Treffen initiiert hat, zum Eingang die schwierige Akustik beklagt. Die zwingt später die meisten Redner inklusive den SED-Staatssekretär für Kirchenfragen auf die Kanzel, wo sich einige sichtlich unwohl fühlen.
Neben Stolpe mit dabei sind damals wie später so wichtige Persönlichkeiten wie Rainer Eppelmann, Christine Lieberknecht, Konrad Weiß oder Lothar de Maiziere, der am Tag darauf zum neuen Vorsitzenden der Ost-CDU gewählt wird. Sie diskutieren in der brechend vollen Friedrichstadtkirche, wie eine DDR ohne das Primat der SED gestaltet werden könnte. Das DDR-Fernsehen war vor Ort, ebenso ein Team des ARD-Büros in Ost-Berlin, doch gesendet wurde damals offenbar nichts.
Dass der Journalist Christian Walther 35 Jahre danach diesen Schatz aus dem Archiv hebt, ist ein großes Glück. Dass die daraus entstandene Doku “Eine bessere DDR” von RBB und MDR lieblos in der Nacht zum Dienstag versendet wird, ist traurig. Aber zum Glück gibt es ja die Mediathek.
Die Unmittelbarkeit, die Authentizität und Aufbruchsstimmung lassen sich förmlich greifen. Genauso wie die Ernsthaftigkeit und Grundsätzlichkeit der Situation fünf Tage nach der großen Demonstration auf dem Alexanderplatz. Jetzt geht es um die Medien und den Zugang zu ihnen; Rainer Eppelmann fordert “gleiche Chancen für alle” und verweist darauf, dass SED über ihre Bezirkszeitungen und den staatlichen Rundfunk weiter ganz andere Möglichkeiten habe, es könne nicht sein, “dass für die anderen nur Kugelschreiber und Blaupapier bleiben”.
Er fordert einen “Runden Tisch” nach polnischem Vorbild, Konrad Weiß vom Neuen Forum den Rücktritt von Egon Krenz. Thomas Krüger, damals Bürgerrechtler und heute Chef der Bundeszentrale für politische Bildung, geht mit den vor allem die Blockparteien prägenden Wendehälsen ins Gericht: “Ich bin für Bekehrung und dafür, dass aus einem Saulus ein Paulus werden kann, dass die Blockflöten im Orchestergraben zur Querflöte greifen”, doch vor allem wünsche er sich, “dass sie uns nicht länger blockieren”.
Das hatte vorher schon Gottfried Müller, damals in der Ost-CDU und Chefredakteur der Kirchenzeitung “Glaube und Heimat” getan: “Das Volk sind Sie”, beschied er den Saal. Und musste sich später an anderer Stelle von Stolpe unter dem Gelächter der Anwesenden sagen lassen: “Liebe Freunde von der CDU, fassen Sie sich kürzer, das Neue Forum steht schon hinter Ihnen.” Müller war später erster und einziger Medienminister der DDR vor der Wiedervereinigung.
Der Ton des Abends ist ehrlich und konsequent, aber nirgends krawallig. Dass die Aufbruchstimmung, verstärkt durch seinerzeit internationale Beachtung und Sympathie für die Menschen in der DDR, aber schon damals Feinde hatte, die wenig mit den alten Mächten zu tun hatten, wird ebenfalls schon im November 1989 in der Französischen Friedrichstadtkirche klar.
“Eine bessere DDR” ist auf alle Fälle ein wertvolles, wenn auch nachträgliches Zeitdokument. Und die damals nach eigenem Anspruch noch führende Partei? Die ließ sich nach der Diskussion in der Friedrichstadtkirche von der Stasi bescheiden, die Redebeiträge der SED-Genossen seien sehr gelungen gewesen und dass die Partei weiter zunehmend an Aufwind gewänne. Da war die Mauer schon offen.