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Seelenverwandt im Glauben

Kaum jemand denkt an Protestanten, wenn das Stichwort „Spanien“ fällt – die Bevölkerung ist traditionell ganz überwiegend katholisch. Und doch gab es die Reformation dort, sogar zweimal, wie der evangelische Pfarrer Christof Meyer berichtet

Religion und Andalusien – da fällt einem gleich das Stichwort Toleranz ein: das friedliche Zusammenleben von Juden, Christen und Muslimen. Das war unter maurischer Herrschaft, vor mehr als 1000 Jahren.

Bis 1492. Dann fiel Granada als als letztes maurisches Königsreich. Die neuen Herrscher Isabel I. und Fernando II. verkündeten eine andere Linie: ein Königreich, eine Religion. Um diese Idee durchzusetzen, schufen sie die Inquisition, die Glaubenspolizei. Grobschlächtige Ritter kamen aus Kastilien nach Andalusien, die statt der Schreibfeder das Schwert schwenkten. Spanien versank in geistigem Stillstand, der jahrhundertelang andauern sollte.

Die Inquisition erstickte die Anfänge schon im Keim

Während Luther 1517 in Wittenberg seine 95 Thesen in Umlauf brachte, um eine Reformation der Kirche zu fordern, wurde in Spanien jede zarte reformatorische Blüte im Keime erstickt. „Dabei war der Humanismus in Spanien schon weit verbreitet“, weiß Christof Meyer, Pfarrer der Deutschen Evangelischen Gemeinde an der Costa del Sol. Er hat sich eingehend mit dem Thema beschäftigt.
„Auch heute wissen die meisten Spanier und Ausländer noch immer nicht, dass in Spanien neben der katholischen auch eine andere Konfession eine Rolle spielt“, sagt Meyer. Die Zahl der Protestanten in Spanien sei zwar angewachsen, dennoch geben viele Spanier in Umfragen an, es gebe keinen Protestantismus in Spanien und sie würden keinen einzigen Protestanten kennen.
Tatsächlich stellt einem Bericht der Universität Regensburg zufolge der Protestantismus in Spanien mit rund 0,4 Prozent Anhängern unter den Gläubigen noch immer eine Minderheit dar.
Ein Zitat aus der katholischen Zeitschrift „La revista Cristiana“ aus dem Jahr 1936 zeigt, was lange Zeit in Spanien gegolten habe: „Briten und Deutsche können Katholiken oder Protestanten sein, aber ein Spanier oder Hispanoamerikaner kann nur ein römischer Katholik sein oder Atheist.“
Da sei es erstaunlich, findet Meyer, dass der Roman „El hereje“, zu Deutsch „Der Ketzer“, von Miguel Delibes 1999 in Spanien zu einem Bestseller werden konnte. Dieses Buch handelt von der lutherischen Bewegung in Spanien. In seinem Werk zeigt Delibes, dass es die Reformation in Spanien gegeben hat. „Daran sollte im Jahr 2017, dem Jahr des Reformationsjubiläums, unbedingt erinnert werden“, sagt Meyer.
Genau genommen hat es die Reformation in Spanien sogar zweimal gegeben:
Da war die Reformation von 1517. Die war in den Augen von Christof Meyer ohnehin keine rein deutsche, sondern eine europäische Angelegenheit. Bereits vor Luther habe es in Spanien Ansätze dazu gegeben, sagt Meyer. Die beiden Mystiker Juan de la Cruz und Teresa von Ávila haben Sätze formuliert, die auch von Luther hätten stammen können. So dichtete Teresa von Ávila zum Beispiel: „Nichts soll Dich ängstigen, nichts soll Dich erschrecken, wer sich an Gott hält, dem wird nichts fehlen, Gott allein genügt.“ Dies zeige eine starke Besinnung auf das Wesentliche. Eine Einstellung, die in der Reformation deutlich zum Ausdruck kam.
Zur Zeit Luthers sei Spanien dann zur Reformation bereit gewesen, so Meyer. Luthers Schriften fanden rasch Verbreitung. Außerdem haben die beiden lutherischen spanischen Theologen Casiodoro de la Reína (1520–1594) und Cipriano de Valera (1532–1602) die Bibel sehr früh übersetzt. So war sie nicht mehr allein dem Klerus vorbehalten.
Die Zentren dieser frühen Reformation in Spanien lagen in Sevilla und Valladolid. Dort hatten sich in humanistischer Umgebung reformatorische Gemeinden gebildet. Diese haben die Bibel auf Spanisch gelesen und reformatorische Schriften verbreitet.

Jeder Lutheraner galt als Feind

Das war auch gleichzeitig ihr Todesurteil: Es wirkte sich fatal auf die spanische Reformation aus, dass man im Zuge der Inquisition die Lutheraner oder alle, die man dafür hielt, als Feinde betrachtete und bekämpfte.
„Bis zum 19. Jahrhundert gab es dann keinerlei Spuren mehr von der Reformation“, so Meyer. „Die Inquisitoren haben die Menschen ermordet, die Schriften verbrannt und die Ideen ausgelöscht.“ In Valladolid wurde am 21. Mai 1559 die gesamte protestantische Glaubensgemeinde hingerichtet.
Ausländische Missionare haben dann im 19. Jahrhundert die zweite Reformation angestoßen. Angefangen hat es in Gibraltar. Unter den britischen Besatzungssoldaten gab es Protestanten, insbesondere Methodisten, die versuchten, unter Lebensgefahr von Gibraltar aus Bibeln nach Andalusien zu schmuggeln.
Seit 1812 gab es die spanische Verfassung, die unter anderem auch die Religionsfreiheit festschrieb. Nach etwa vier Jahren wurde das Gesetz schon wieder rückgängig gemacht. Selbst die Frage, ob man protestantische Friedhöfe in Spanien erlauben sollte, war umstritten. Schließlich mussten die protestantischen Ausländer irgendwo ihre letzte Ruhe finden – ein katholischer Friedhof kam nicht in Frage. So legte man beispielsweise in Málaga einen englischen Friedhof an. Dort wurden ausländische Kaufleute beerdigt.
Bedingt durch das relativ liberale Klima in Cádiz, wurde es möglich, dass der Brite und Methodist William Harris Rule dort die erste evangelische Schule und Kirche gründete. Gleichzeitig entstand auch die British and Foreign Bible Society, die versuchte, Bibeln in Andalusien zu verbreiten. In dieser Atmosphäre, in der das spanische Volk versuchte, die Verfassung immer wieder gegenüber der Monarchie hochzuhalten, konnte die zweite Reformation beginnen. Die Bibeln fanden reißenden Absatz. Es wurden erste Andachten in spanischer Sprache gehalten.
Gleichzeitig wurden jedoch Protestanten noch im 19. Jahrhundert zum Tode verurteilt – wenn auch das Todesurteil nicht mehr vollstreckt wurde. Bei der zweiten Reformation kamen viele Exilspanier zurück, die im Ausland zum evangelischen Glauben gewechselt hatten, um in ihrer Heimat Gemeinden zu gründen. Die erste Kirche Iglesia Española Reformada wurde 1868 in Sevilla gegründet. Aber erst 1900 entwickelte sich Spanien zur Republik und erst ab diesem Zeitpunkt gab es Religionsfreiheit. Es herrschte die Erwartung, dass sich der Protestantismus schnell unter einer liberalen Regierung würde ausbreiten können.

Ein neuer Anfang. Doch dann kam Franco

Doch dann kam Franco. Unter dem Diktator wurde ab 1936 alles wieder zurückgenommen. Evangelische Zeitschriften wurden verboten, Gottesdienste durften nicht mehr stattfinden, und gegenüber evangelischen Christen kam es zu brutalen Gewaltakten. Viele mussten auch ins Exil gehen.
Erst mit dem Ende der Franco-Diktatur konnten die Protestanten aufatmen. Sie konnten sich ab 1986 als FEREDE (Federación de Entidades Evangélicas Religiosas de España) organisieren. Sie vertritt alle evangelischen Glaubensgemeinschaften gegenüber dem spanischen Staat. Seit dieser Zeit geht auch die katholische Kirche verstärkt auf die nichtkatholischen Kirchen zu.

Die Autorin ist Redakteurin der deutschsprachigen Wochenzeitung „Costa del Sol Nachrichten“ in Marbella/Spanien