Die Union hat die K-Frage geklärt. Am Dienstag betonte der designierte Kanzlerkandidat Friedrich Merz, dass Migration ein wichtiges Thema bleibe und er an Zurückweisungen an der Grenze festhalte. Was meint er damit?
Seit der mutmaßlich islamistischen Messerattacke in Solingen am 23. August hat die Debatte über die Asyl- und Migrationspolitik in Deutschland und Europa erneut an Fahrt aufgenommen. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) beantwortet Fragen rund um einige Schlüsselbegriffe.
“Asyl ist in Deutschland ein von der Verfassung geschütztes Recht”, heißt es auf der Homepage des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. “Menschen, die aus anderen Teilen der Welt vor Gewalt, Krieg und Terror fliehen, sollen hierzulande Schutz finden.” Im August registrierte das Bundesamt 18.427 Erstanträge. Das entspricht einem Rückgang um 33,6 Prozent im Vergleich zum August 2023. Der Trend ist seit mehreren Monaten schon rückläufig. Dass Deutschland die Kontrolle über die Migration verliert, lässt sich zumindest anhand dieser Zahlen nicht belegen.
Dem Schengen-Raum gehören derzeit 29 Länder an: 25 der 27 EU-Mitgliedstaaten, dazu Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz. Sie haben sich darauf verständigt, an ihren Binnengrenzen keine Kontrollen mehr durchzuführen. Das 1985 von Frankreich, Deutschland, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg begonnene Projekt gehört inzwischen laut Europäischem Rat zu den “wichtigsten Errungenschaften des europäischen Aufbauwerks”. Nur in Ausnahmefällen können Grenzkontrollen wieder eingeführt werden. Das war zum Beispiel während der Corona-Pandemie zwischen 2020 und 2022 der Fall.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach im Vorfeld von “smarten Kontrollen”, um die sogenannte irreguläre Migration einzudämmen, sowie Schleuser, andere Kriminelle und Islamisten zu stoppen. In der Praxis nimmt die Bundespolizei an der insgesamt rund 3.900 Kilometer langen deutschen Grenze stichprobenartige Kontrollen vor. Alles andere sei gar nicht möglich, hieß es vonseiten der Gewerkschaft der Polizei.
Bei Zurückweisungen werden Menschen an der Grenze daran gehindert, diese zu überqueren. Das ist möglich bei Personen, die keine Papiere bei sich führen beziehungsweise gefälschte Dokumente vorlegen oder gegen die eine Einreisesperre vorliegt. Eine “Zurückschiebung” findet statt, wenn Ausländer bereits unerlaubt die Grenze passiert haben. Im ersten Halbjahr 2024 hat die Bundespolizei etwa 17.000 Menschen an den Grenzen zurückgewiesen. Etwa 1.400 Menschen wurden zurückgeschoben.
Wer Asyl beantragen will, darf nicht zurückgewiesen werden. Bei der Registrierung prüfen die Behörden allerdings, ob die betreffende Person schon in einem anderen EU-Mitgliedstaat oder in Island, Liechtenstein, Norwegen und der Schweiz einen Asylantrag gestellt hat, über den noch nicht entschieden wurde. Dieses Verfahren ist durch die Dublin-III-Verordnung geregelt. Das Dublin-Verfahren soll verhindern, dass eine Person mehrfach einen Asylantrag stellt, und klären, welches Land für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist. Üblicherweise handelt es sich um das Vertragsland, das der Geflüchtete zuerst betreten hat.
Aktuell fordern einige Politiker, eine Zurückweisung auch bei sogenannten Dublin-Fällen. Kritiker halten das mit europäischem Recht nicht für vereinbar. Befürworter argumentieren damit, dass das gesamte Dublin-System ohnehin gescheitert sei. Abgesehen davon steht die Frage im Raum, wer die an der Grenze zurückgewiesenen Menschen aufnimmt. Am Wochenende wurde Österreichs Innenminister Gerhard Karner mit den Worten zitiert: “Österreich wird keine Personen entgegennehmen, die aus Deutschland zurückgewiesen werden.”
Ob die Maßnahmen tatsächlich einen Effekt haben, darüber streiten die Experten. Davon unabhängig gab es schon vor Montag Kontrollen an den Grenzen zu Polen, Tschechien, Österreich und der Schweiz. An der deutsch-französischen Grenze wurden sie am 7. Juni mit dem Start der Fußball-Europameisterschaft in Deutschland eingeführt und für die Olympischen Spiele in Paris verlängert.
Skeptisch äußerte sich der österreichische Migrationsforscher Gerald Knaus. In Österreich oder Frankreich gebe es trotz verstärkter Kontrollen mehr Asylanträge und nicht weniger. Knaus schlug stattdessen vor, die Bearbeitung von wenig aussichtsreichen Asylanträgen in Deutschland zu beschleunigen. Außerdem müsse man auf die Transitländer – wie etwa die Türkei – zugehen und mit diesen Vereinbarungen treffen.
Unter Rückführung oder Abschiebung versteht man die erzwungene Rückkehr ausländischer Staatsangehöriger in ihr Herkunftsland, wenn sie kein Recht mehr haben, länger in Deutschland zu bleiben. Im ersten Halbjahr 2024 wurden 9.465 Personen aus Deutschland abgeschoben – rund 20 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Zugleich wurden 3.043 Personen im Rahmen der Dublin-III-Verordnung in ein anderes EU-Land überstellt.
Ziel der Ampelkoalition ist es, “irreguläre Migration zu reduzieren und reguläre Migration zu ermöglichen”. Dafür entstand 2023 das Amt des Sonderbevollmächtigten für Migrationsabkommen. Es wird von dem FDP-Politiker Joachim Stamp bekleidet. Zuletzt wurden Migrationsabkommen mit Kenia und Usbekistan abgeschlossen. Darin werden beispielsweise Visa-Erleichterungen festgelegt, die Schaffung von Qualifizierungsmaßnahmen für den deutschen Arbeitsmarkt und die Intensivierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Zentral ist außerdem, dass Länder abgelehnte Asylbewerber wieder aufnehmen.
Migration ist komplex und hat beispielsweise in Teilen Afrikas eine lange Tradition. Abkommen schaffen keine Arbeitsplätze in den Partnerländern. Dazu wäre zunächst eine Verbesserung der Infrastruktur sowie eine Industrialisierung notwendig. Auch verlassen junge Menschen aufgrund der politischen Situation, mangelnder Teilhabe und zunehmend autoritär werdenden Regierungen ihre Heimat.