Ein Hauch von Apostelgeschichte weht durch den Saal. Die Landessynode der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW) ist in Bielefeld zu ihrer Herbsttagung zusammengekommen. Bei der Morgenandacht erklingen Gebete auf Koreanisch, Ga (Westafrika), Englisch. Man mag sich an die Bibelstelle erinnert fühlen, die davon berichtet, wie der erste Jesus-Gemeinde am Pfingsttag plötzlich anfing, in ganz verschiedenen Sprachen zu predigen.
„Kirche in Vielfalt“ ist eines der Schwerpunktthemen dieser Tagung. Die Theologieprofessorin Isolde Karle weist in einem Vortrag darauf hin, dass die evangelische Kirche überwiegend „eine bildungsbürgerliche Kirche“ sei. Menschen in Armut oder mit Migrationshintergrund müssten viel stärker beteiligt werden, so Karle vor dem Kirchenparlament. Einen kritischeren Blick fordert sie auch auf kirchlichen Rassismus. Diversität bereichere die Gesellschaft.
Westfälische Kirche muss sich noch erholen von Kurschus-Rücktritt
Noch immer „irritiert“ ist die viertgrößte deutsche Landeskirche nach den Worten des Theologischen Vizepräsidenten Ulf Schlüter zudem durch den Rücktritt von Annette Kurschus als Präses vor einem Jahr.
Eigentlich sollte auf dieser Tagung der Landessynode über die Nachfolge der 61-jährigen Theologin entschieden werden. Aber der einzige Bewerber Michael Krause zog im Sommer seine Kandidatur wegen Hinweisen auf eine mögliche Überschreitung persönlicher Grenzen zurück.
Am Sonntagabend, zu Beginn der Tagung, ist Kurschus nun als Gast bei der Tagung dabei.
In einer kurzen Rede ruft sie auf, gemeinsam nach vorne zu blicken. „Es ist gut für mich, heute hier zu sein“, sagt Kurschus zur Synode, die mit starkem und langem Applaus reagiert. „Es ist jetzt an der Zeit, gemeinsam nach vorne zu blicken. Das braucht unsere Kirche bitter nötig. Und wir alle brauchen es auch.“ Sie habe mit ihrem Rücktritt von allen kirchenleitenden Ämter im November 2023 Verantwortung übernommen und dafür „einen verflixt hohen Preis bezahlt“, erklärt die 61-jährige Theologin.
Voraussichtlich am 29. März entscheidet Synode über neue Spitze
Auch ein neuer Termin für die Wahl des oder der neuen Präses wird genannt: Voraussichtlich am 29. März soll die Synode entscheiden, wer künftig an der Spitze der 1,9 Millionen westfälischen Protestanten steht, sagt Schlüter, der bislang kommissarisch die Präses-Aufgaben übernommen hat.
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Missbrauchsbetroffenen Nancy Janz auf Synode zu Gast
Missbrauchsbetroffene sollen künftig in der westfälischen Kirche stärker beteiligt werden. Es müsse bewusste Beteiligungsangebote für Betroffene auf allen Ebenen geben, beschließt die Landessynode. Ein genaueres Hinschauen müsse auf allen Ebenen Standard werden.
Der Beschluss ist auch eine Reaktion auf den Beitrag der Missbrauchsbetroffenen Nancy Janz, die in einem Vortrag vor der Synode erklärt, dass die evangelische Kirche bislang nicht ausreichend Konsequenzen aus den Missbrauchsfällen in ihren Reihen gezogen habe. Das Problem der sexualisierten Gewalt lasse sich „nicht mit Samaritertum oder einer Geldleistung lösen“, sagte die Sprecherin des Beteiligungsforums Sexualisierte Gewalt in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Es gelte, Vertrauen aufzubauen. Das Bekanntwerden von sexualisierter Gewalt habe die Kirche zu Recht erschüttert, antwortet Ulf Schlüter. Das Thema werde nicht weggehen, sondern künftig regelmäßig die Landessynode beschäftigen.
Westfälische Kirche wird in den kommenden Jahren massiv sparen
Auch mit den Finanzen muss sich die Synode beschäftigen. Die westfälische Kirche wird in den kommenden Jahren massiv sparen: Um wieder einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen, soll bis 2028 ein jährliches Defizit von rund 25 Millionen Euro ausgeglichen werden. Finanzdezernent Arne Kupke konstatiert in seiner Haushaltsrede auf allen Ebenen eine „Schieflage der kirchlichen Haushalte“ und mahnt zu einer äußerst sparsamen Haushaltsausführung. Die Landeskirche müsse „drängende Transformationsschritte“ gehen. Im Allgemeinen Haushalt der landeskirchlichen Ebene, in den rund 47 Millionen Euro aus Kirchensteuereinnahmen fließen, müssen die Ausgaben dauerhaft um mindestens 14 Millionen Euro reduziert werden.
Es wird voraussichtlich der letzte Haushaltsbericht von Kupke sein. Schon im nächstem Jahr wird diese Aufgabe der Wirtschaftsexperte Ralf Henning Krause übernehmen, den die Synode dazu in die Kirchenleitung wählt. Ebenfalls in die Kirchenleitung gewählt wird die die 58-jährige Erziehungswissenschaftlerin Uta Schütte-Haermeyer, bislang Geschäftsführerin des Diakonischen Werkes Dortmund und Lünen, die einzige Kandidatin war. Der Sitz in der Kirchenleitung war vakant, nachdem der Jurist Michael Bertrams im vergangenen November als Reaktion auf den Rücktritt der damaligen Präses Annette Kurschus seinen sofortigen Rückzug aus dem Leitungsgremium erklärt hatte.
Westfälische Kirche will schlankere Strukturen
Der Theologische Vizepräsident Ulf Schlüter ruft in seinem Jahresbericht dazu auf, sich auf den kirchlichen Auftrag zu besinnen, die „Kommunikation des Evangeliums“. Dies gelte besonders angesichts der aktuellen Krisen in der Welt. Mit Blick auf sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch sagt er, dies müsse auf allen Ebenen und in allen Arbeitsbereichen als Teil der Realität der evangelischen Kirche wahrgenommen werden.
Schlüter kritisiert auch kirchliche Strukturen, etwa mit Blick auf das Landeskirchenamt in Bielefeld mit aktuell mehr als 300 Beschäftigten: „Wir werden wegkommen müssen von dem alten Bild einer großen Behörde.“ In fünf Jahren müsse es in der westfälischen Kirche auch deutlich weniger als die bisherigen rund 500 Körperschaften geben. Auch die drei Landeskirchen in Nordrhein-Westfalen müssten „sehr, sehr intensiv kooperieren“. Wenn es nach ihm ginge, sollte es zudem bundesweit weniger evangelische Landeskirchen geben: „Wenn wir in zehn Jahren noch 20 Landeskirchen haben, dann haben wir wirklich sehr viel falsch gemacht.“
Bei der Leitung der Kirchengemeinden will die westfälische Kirche auf dem Weg zu schlankeren Strukturen völlig neue Wege gehen: Die Gemeinden sollen nicht mehr nur von Presbyterien geleitet werden können, sondern alternativ auch von einer kleinen Gruppe von drei bis zehn Menschen. Bis zu zehn Prozent der 431 westfälischen Gemeinden können dieses Modell vom kommenden Jahr an ausprobieren, bis es möglicherweise dauerhaft und flächendeckend etabliert wird. Die Neuerung wird in Zeiten sinkender Mitgliederzahlen als Chance gesehen, Leitungsgremien zu verkleinern oder für mehrere Kirchengemeinden zusammenzulegen.
Weil es an theologischem Nachwuchs fehlt, sind Pfarrerinnen und Pfarrer der westfälischen Kirche künftig für deutlich mehr Kirchenmitglieder zuständig. Bislang ist eine Pfarrstelle für 3000 Mitglieder vorgesehen, von 2026 bis 2030 muss eine Pfarrstelle 4000 Gemeindemitglieder versorgen. Langfristig wird eine Gemeindegröße von 5000 Mitgliedern vorgeschlagen. Nur dann könne es eine «ausgewogene und bedarfsorientierte Pfarrstellenbesetzung» geben, heißt es.
Knapp 433,6 Millionen Euro: Synode beschließt Haushalt
Zum Abschluss der Tagung beschließt die Synode den Haushalt für das kommende Jahr. Danach wird die viertgrößte deutsche Landeskirche mit einem Gesamt-Etat von knapp 433,6 Millionen Euro wirtschaften. Dieser Haushalt enthält die Ausgaben für den EKD-Finanzausgleich, die Pfarrbesoldung, gesamtkirchliche Aufgaben und die unmittelbaren Aufgaben der Landeskirche. Nicht darin enthalten ist der Großteil der Zuweisungen an die Kirchenkreise und Gemeinden.
Aus Kirchensteuern erwartet die westfälische Kirche kommendes Jahr insgesamt Netto-Einnahmen in Höhe von rund 533 Millionen Euro. Die 26 Kirchenkreise und 431 Gemeinden erhalten von den Einnahmen 328,4 Millionen Euro. Sie müssen davon die regulären Pfarrstellen finanzieren. In den Haushalt Pfarrbesoldung fließen weitere 93 Millionen Euro aus der Kirchensteuer, in den Etat für gesamtkirchliche Aufgaben wie Weltmission und Ökumene knapp 55 Millionen Euro und in den Finanzausgleich der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für die ärmeren ostdeutschen Kirchen zehn Millionen Euro.
Die Pfarrbesoldung schlägt als größter Ausgabeposten im Gesamthaushalt der Landeskirche mit 208,4 Millionen Euro zu Buche. Die Landeskirche bekommt von den Kirchensteuer-Einnahmen für ihre unmittelbaren Aufgaben gut 47 Millionen Euro. Der Gesamthaushalt enthält außer Kirchensteuer-Mitteln noch weitere Einnahmen. Dazu zählen Zinsen, Pachterträge, Entnahmen aus Rücklagen und staatliche Zuweisungen.
Einsparung von jährlich 25 Millionen Euro bis 2028 im Gesamthaushalt
Weiter in Arbeit ist ein Haushaltssicherungskonzept zur dauerhaften Einsparung von jährlich 25 Millionen Euro bis 2028 im Gesamthaushalt der westfälischen Kirche, das im kommenden Jahr vorgestellt werden soll. Für die landeskirchliche Ebene entspricht das Kürzungen von rund 14 Millionen Euro bei einem Etat von rund 55 Millionen Euro.
Wiederholt taucht in den Diskussionen des Kirchenparlaments die Frage auf: Wie gut kann der presbyterial-synodale Aufbau der Kirche die anstehenden Herausforderungen noch meistern? Es werde immer schwieriger, „Menschen zu finden, die bereit und in der Lage sind, neben Beruf und Familie“ sich einer so fordernden Arbeit wie Synode und Kirchenleitung zu stellen, sagt etwa der Vorsitzende des Nominierungsausschusses, Superintendent Uwe Gryczan aus Lübbecke. Eine Spannung, die – neben allen anderen Herausforderungen – in Zukunft wohl noch deutlich an Bedeutung gewinnen wird.