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Schauspielerin Julia Koschitz über Stalking – Erschreckend aktuell

Während des Interviews macht Julia Koschitz immer wieder kurze Denkpausen, sucht nach den richtigen Worten – die 50-jährige Schauspielerin ist eine ernsthafte Gesprächspartnerin. Das passt zu ihren Filmrollen.

Häufig erzählen ihre Filmfiguren von existenziellen Herausforderungen, und fast immer wird die preisgekrönte Julia Koschitz für ihr präzises, tiefgründiges Spiel gelobt. Im Thriller “Ewig Dein”, der am 14. April im ZDF ausgestrahlt wird, spielt sie einmal mehr eine intensive Rolle: Ihre Figur wird von ihrem Ex-Freund gestalkt – der will nicht akzeptieren, dass sie ihn verlassen hat. Die Verfilmung eines Romans von Daniel Glattauer entwickelt sich zur beklemmenden Studie über die Macht der Manipulation und die zunehmend zerfließenden Grenzen zwischen Wirklichkeit und Wahn. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht Koschitz über den Wert von Freiheit, Grenzüberschreitungen von Fans – und die ewige Frage nach dem Alter.

Frage: In “Ewig Dein” geht es um Stalking, Manipulation, Täter-Opfer-Umkehr. Was hat Sie daran gereizt?

Antwort: Die Ausweitung der Manipulation auf ihr engstes Umfeld, die dieser Mann betreibt, hat mich fasziniert. Dass es ihm glaubhaft gelingt. So sehr, dass ihre Freunde und Familie, statt sie zu schützen, ihr Verfolgungswahn nachsagen. Und nachdem sie sich aus Scham zurückzieht, statt bei ihren Nächsten um Hilfe zu suchen, hat er nochmal einen ganz anderen Hebel, sie in den Wahnsinn zu treiben. Das war das Unheimlichste an dem Stoff von Daniel Glattauer: dass er die Frage, wer hier eigentlich der Verrückte ist, relativ lange offen hält.

Frage: Das ist sehr beklemmend erzählt. Wie schaffen Sie es bei solch einer Rolle, nach Feierabend abzuschalten?

Antwort: Ich befinde mich bei einem Dreh, gerade wenn es eine Hauptrolle ist, in einer bestimmten Zone, die ich gar nicht unbedingt verlassen möchte. Ich fokussiere mich da sehr auf die Reise meiner Figur und stelle fast alles zur Seite – zum Leidwesen meines Schreibtisches und vor allem meiner Freunde. Aber es ist nicht so, dass ich das Drama meiner Rolle ungefiltert mit nach Hause nehme. Der Unterschied zwischen mir und der Geschichte ist mir durchaus bewusst.

Frage: Inwiefern behandelt “Ewig Dein” ein feministisches Thema? Könnte der Film genauso gut mit umgekehrten Vorzeichen – die Frau ist die Stalkerin, der Mann das Opfer – stattfinden?

Antwort: Gute Frage (überlegt). Natürlich gibt es genauso Gewalt in Beziehungen, wo Frauen die Täterinnen sind, aber mit Sicherheit wäre es ein sehr anderer Film. Bei Stalking ist die große Mehrzahl der Täter männlich, die Zahl der Femizide in Deutschland und weltweit steigt, insofern ist das Thema erschreckend aktuell. Und ehrlich gesagt ist mir der Begriff für systematische Tötung an Männern nicht mal geläufig. Ich nehme an, auch weil sie wesentlich seltener sind.

Diese Geschichte, verpackt in einen Thriller, beschäftigt sich mit dem extrem possessiven und manipulativen Verhalten eines Mannes seiner Freundin gegenüber, bis zur existenziellen Bedrohung. Aber dasselbe Verhalten in abgeschwächter Form ist schon problematisch. Insofern macht der Film auf eine gefährliche Beziehungs-Dynamik und typische Verhaltensmuster bei Männern aufmerksam, die sich in Gewalt umkehren können.

Frage: Als erfolgreiche Schauspielerin hat man ja wahrscheinlich auch Fans, die nicht immer die nötige Distanz wahren …

Antwort: In sehr gemäßigter Form ist es mir bekannt: dass jemand Kontakt sucht und die Grenze, die ich meiner Meinung nach sehr klar gezogen habe, nicht wahrt. Das alles auf freundliche, aber dennoch hartnäckige Weise, was zumindest nicht angenehm war. Aber in einem Beziehungskontext habe ich das nie erlebt, was meiner Meinung nach nochmal viel beängstigender ist.

Frage: Ein Grund dafür, dass Sie nicht sonderlich aktiv sind in den sozialen Medien?

Antwort: Nein. Das liegt eher daran, dass die Selbstdarstellung nicht wirklich meine Kernkompetenz ist.

Frage: Persönliche Freiheit ist das Gegenstück zu Besitzansprüchen wie in “Ewig Dein”: Wie wichtig ist Ihnen die?

Antwort: Ganz wichtig, unerlässlich. Man wünscht sich in einer Beziehung maximale Nähe, am Anfang vielleicht sogar so was wie Verschmelzung. Und dann wird man älter und begreift (lacht), dass Freiheit geben auch eine große Liebeserklärung ist. Und diesen Entwicklungsprozess habe ich in meinen Partnerschaften genauso wie für mich alleine gemacht. Freiheit ist ein Gut, dass gerade wir in einer noch sehr privilegierten Welt oft für viel zu selbstverständlich nehmen. Dabei können wir diesen Wert gar nicht hoch genug schätzen.

Frage: Sie spielen oft in Filmen, in denen es um Existenzielles geht. Wählen Sie einen Stoff danach aus, ob Sie ein Thema wichtig finden – oder ist entscheidend, dass das Drehbuch Sie begeistert?

Antwort: Das eine bedingt das andere. Ein Drehbuch begeistert mich, wenn ich das Thema erzählenswert finde und es dicht, komplex und im besten Sinne des Wortes unterhaltsam geschrieben ist. Aber das kann auch mal ein leichter Stoff sein, wie bei meiner letzten Kinokomödie, in der ein Paar sehr unpassend ausgerechnet einen Vierer initiiert, um aus seiner Beziehungskrise zu kommen. Bei der Auswahl meiner Projekte kommt es auf Unterschiedliches an: die Abwechslung im Genre und bei den Rollen, das Thema, die Qualität des Buchs und die Zusammenstellung der Leute.

Frage: Sie spielen meist in erfolgreichen, hochgelobten Filmen. Haben Sie eigentlich schon mal bei einem richtigen Flop mitgemacht?

Antwort: Aber ja (lacht). Wobei die Flops an der Kasse nicht unbedingt die inhaltlichen Flops waren. Es gibt tatsächlich Projekte, die ich mir lieber erspart hätte. Wenige, aber wie das immer so ist: Die schmerzen dann besonders. Aber gut, das schärft dann nur das Auswahlverfahren für den nächsten Film.

Frage: Titel wollen Sie nicht nennen?

Antwort: Nein, ich will niemanden beleidigen. Außerdem trage ich dafür die Verantwortung. Ich hätte mir hier und da nichts schönreden sollen, in der Hoffnung, dass ein vielleicht nicht ganz so gutes Buch doch noch was werden könnte.

Frage: Sie sind im Dezember 50 Jahre alt geworden. Ist das einfach eine weitere Ziffer, oder hat Sie diese runde Zahl ins Nachdenken gebracht?

Antwort: Es ist eine Zahl, auf die man mehr angesprochen wird als auf andere Zahlen. Wenn Sie auf das Älterwerden ansprechen, sind es eher Momente, die mich nachdenklich machen. Wenn mir beim Laufengehen die Knie weh tun, oder wenn ich das Gefühl habe, ich werde unflexibel und bequem oder langsam im Kopf, wenn ich eine App nicht schnell genug bedienen kann – dann habe ich das ganz schreckliche Gefühl des Altseins (lacht).

Aber es gibt auch positive Aspekte: Dass ich gelassener werde, mich weniger um die Meinung anderer kümmere, es mehr schaffe, bei mir zu bleiben. Und langsam akzeptiere, dass ich so bin, wie ich bin. Das sind durchaus kleine Fortschritte (lacht). Man fühlt sich sowieso immer jünger als man ist – das hat mir meine Oma schon vor vielen Jahren gesagt. Genauso geht es mir jetzt auch. Eigentlich erlebe ich ein ständig wechselndes Alter. In manchen Dingen bin ich noch ein Kind, in manchen pubertär, und in anderen Dingen bin ich auf eine Art uralt.

Grundsätzlich finde ich, dass wir in unserer Gesellschaft eine seltsame Art und Weise haben, das Alter wahrzunehmen. Das zeigt auch die wiederholte Frage. Klar, es ist nicht unbedingt schön, sich selbst beim Altwerden zuzusehen. Aber der Reichtum an Erfahrung wird seltener erwähnt. Und bis jetzt bleibt, trotz aller feministischen Bemühungen, der Makel des Alters eher an den Frauen als an den Männern hängen.

Frage: Das ist gerade in der Schauspielbranche immer noch oft der Fall – auch wenn etwa Initiativen wie “Let”s Change the Picture” mehr Rollen für Frauen ab 47 Jahren fordern.

Antwort: Das ist es. Auch wenn ich bis jetzt das Glück habe, keine schwächere Nachfrage zu verspüren. Was nicht heißt, dass ich diese beruflichen Tiefs nicht kenne – ich hatte sie zu anderen Zeiten, immer wieder. Aber es ist wichtig, darauf aufmerksam zu machen, und ich habe den Eindruck, dass sich da auch schon einiges getan hat, vor allem international. Aber natürlich, es muss noch weit mehr passieren in Sachen Gleichberechtigung, auch was ältere Frauen betrifft – und nicht nur in der Filmbranche.