Vor den Wahlen zum Europäischen Parlament luden „Brot für die Welt“ und „Misereor“ Spitzenparlamentarier zur Debatte um den Themenkreis „Frieden“, „Gerechtigkeit“ und „Bewahrung der Schöpfung“ ein
Von Uli Schulte Döinghaus
„Friedensprojekt Europa? Die Bedeutung der EU-Wahl für eine weltweite nachhaltige Entwicklung“ – unter dieser komplizierten Überschrift kamen am vergangenen Dienstagabend Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten von Parteien aufs Podium, die sich für die Wahl zum Europäischen Parlament am 26. Mai bewerben. Eingeladen hatten die evangelische Aktion „Brot für die Welt“, das katholische Hilfswerk „Misereor“ und SDSN Germany, eine entwicklungspolitische Denkfabrik. Mit dabei waren Katarina Barley (SPD), Daniel Caspary (CDU), Özlem Alev Demirel (Die Linke), Ska Keller (Grüne) und der FDP-Bundestagsabgeordnete Till Mansmann. Nicht eingeladen waren Vertreter der AfD, weil, so die Veranstalter, im AfD-Programm von „einem Austritt Deutschlands oder einer geordneten Auflösung der Europäischen Union“ die Rede sei. Der Veranstaltungsort, die Französische Friedrichstadtkirche am Berliner Gendarmenmarkt, war gut gewählt, auch weil sie ein Stück europäischer Friedensgeschichte symbolisiert. Sie wurde Anfang des 18. Jahrhunderts, mit Unterstützung des Preußenkönigs Friedrichs II., die Gemeindekirche von 6000 hugenottischen Glaubensflüchtlingen aus Frankreich, Böhmen und Österreich. Ihre neue Heimat verhalf ihnen zu Frieden, Arbeit und Wohlstand.Ob von der Europäischen Union (EU) oder gar vom Europäischen Parlament (EP) wichtige Impulse für den konkreten Frieden in der Welt ausgehen, das bleibt auch nach der Debatte mit den Spitzenkandidaten unklar. Oft fielen die Antworten der „Europäer“ eher detailverliebt aus, eher bundesdeutsch orientiert, zwischenstaatlich oder regionalpolitisch. Etwa, als es im Diskussionsblock „Bewahrung der Schöpfung“ fast ausschließlich um den brandenburgischen Braunkohleausstieg ging, weniger um gesamteuropäische Klima- und Energiepolitik, inklusive Ausstieg aus der Kernenergie.Es gebe einen Widerspruch zwischen dem Vorrang der zivilen Krisenprävention im bundesdeutschen Koalitionsvertrag und der Ankündigung der Europäischen Union, Mittel für die zivile Krisenprävention zu kürzen und sie stattdessen in den sogenannten Verteidigungsfonds zu stecken. Dieser kritische Hinweis kam von der Brot-für-die-Welt-Präsidentin Cornelia Füllkrug-Weitzel per Videobotschaft.
Noch mehr Geld für Rüstung wäre fatalDanach gab es eine Diskussion um Rüstungsprojekte – ein gemeinsamer Panzer statt 18 unterschiedliche – oder um die Verpflichtung der Nato-Mitgliedsstaaten auf nationale Verteidigungsausgaben, die mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen sollen. „Es wäre fatal, wenn wir der Rüstungsindustrie noch mehr Geld geben“, warnte die Linken-Politikerin Demirel, und CDU-Mann Caspary sekundierte: „Wir brauchen nicht unbedingt mehr Geld für Verteidigung. Sondern mehr Verteidigung fürs Geld.“ Den Einsatz deutscher Panzer, die von den Saudis im Jemen eingesetzt würden, kritisierte die Grünenpolitikerin Ska Keller. Deutschland sei zurzeit weltweit der einzige Staat, der nach der Ermordung des saudi-arabischen Journalisten Jamal Kashoggi einen Rüstungsexport für Waffen gegen Saudi-Arabien verhängt habe, entgegnete SPD-Frau Barley. Sie räumte abschließend selbstkritisch ein: „Schade, dass wir so viel über Waffen reden“, und sie plädierte, eher vage: „Europa muss eine Abrüstungsmacht sein.“Im zweiten Debattenblock ging es – unter der Überschrift „Gerechtigkeit“ – zumeist um Fragen der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. In einem Videostatement hinterfragte Misereor-Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel, warum Deutschland gesetzlich nicht genügend sicherstelle, dass Unternehmen die Menschenrechte in Auslandsgeschäften achten und für Verstöße haftbar gemacht werden können. FDP-Mann Till Mansmann erinnerte daran, dass derlei Kontrollen über komplette Liefer- und Handelsketten hinweg fast unmöglich seien und Milliarden-Investitionen verhindern könnten. Handelspartner der Entwicklungszusammenarbeit seien vielfach auch Staaten, in denen korrupte Regimes die Macht hätten und wenig Interesse an der Durchsetzung von Menschenrechten im Wirtschaftskreislauf hätten. Die Grünen-Politikerin Ska Keller erinnerte an vorbildliche EU-Erfolge beim Handel mit den „Konfliktmineralien“ Zinn, Tantal, Wolfram und Gold. Europäische Importeure dieser Rohstoffe müssen künftig nachweisen, dass sie die von der Verordnung erfassten Minerale und Metalle nur aus verantwortungsvollen Quellen beziehen. Dagegen stünde das Versagen europäischer Agrarexportpolitik. Nach wie vor gefährden heruntersubventionierte Dumpingexporte aus Europa – zum Beispiel von Milchpulver – in die Länder Afrikas die Märkte und die bäuerlichen Betriebe vor Ort.