Bramsche (epd). Das schwere Eisentor fällt krachend hinter den Lager-Bewohnern ins Schloss. Es ist, abgesehen vom Haupteingang auf der anderen Seite, das einzige Schlupfloch. Ein Gitterzaun umgibt das weitläufige Gelände der Landesaufnahmebehörde (LAB) für Flüchtlinge in Bramsche-Hesepe. Auf, zu, Auf, zu. Vier junge Frauen tragen Lebensmittel in Plastiktüten hinein. Eine Familie mit Kindern spaziert hinaus. Auch Samantha Harms nutzt den Hinterausgang. Er mündet auf die Hauptstraße. Sie ist mit Einfamilienhäusern aus den 1950er und 1960er Jahren gesäumt und führt weiter zum Bus, zum Supermarkt, zum Bahnhof. «Hallo», «Moin», «Hey». Alle grüßen die 50-Jährige.
Harms ist fast jeden Tag in dem 2.500-Einwohner-Ortsteil der Stadt Bramsche nördlich von Osnabrück unterwegs – hüben wie drüben. «Meine Aufgabe ist es, zwischen den Bewohnern des Lagers und den Anwohnern zu vermitteln», sagt die Streetworkerin. Sie kam 2010 aus Skopje im heutigen Nordmazedonien nach Deutschland und hat in Basel Sozialpädagogik studiert. Außer Deutsch spricht die dreifache Mutter Mazedonisch, Englisch, Romanes und ein bisschen Albanisch.
Seit zweieinhalb Jahren ist Harms als Streetworkerin bei der Stadt Bramsche beschäftigt. Mit ihrem Begegnungsverein «Amal» ist sie schon seit 2010 ehrenamtlich in der Flüchtlingsarbeit tätig. Bis heute vermischen sich beide Ebenen. Denn zu vermitteln gibt es in Hesepe eine Menge.
«Das ist hier oft wie im Taubenschlag», sagt Birka Skibbe (79), deren Grundstück nur durch ein paar Büsche vom LAB-Zaun getrennt ist. Harms bleibt stehen, nimmt sich Zeit für ein Gespräch. «Die machen so viel Lärm, dass ich abends nur bei voller Lautstärke fernsehen kann», beschwert sich die Seniorin. In ihrem Haus wohnt sie gemeinsam mit Tochter Mareike (44) und deren Mann Patrick Wenndorf (51).
Der Autoverkehr habe stark zugenommen, «obwohl das hier ja eine Sackgasse ist», sagt Skibbe, die einst selbst geflüchtet ist. Ihr und ihren Kindern tun die Menschen jenseits des Zauns leid. Vor allem 2015, als das Lager, das für 1.100 Personen ausgelegt ist, mit mehr als 5.000 Menschen aus allen Nähten platzte, sei die Situation kaum zu ertragen gewesen, erzählt Mareike Wenndorf.
Dennoch stört sie, was sich vor ihrer Haustür abspielt. Aus Lieferwagen würden Waren aller Art verkauft. Männer holten junge Frauen ab. Sie vermuten Prostitution. «Am liebsten wäre uns, der Hintereingang würde geschlossen», sagt Skibbe. Die Chancen dafür stehen schlecht, das wissen sie.
Alle drei sind aber froh, dass Samantha sich ihrer Sorgen und Nöte annimmt. «Endlich haben wir jemanden, der uns Gehör schenkt und sich kümmert», sagt Mareike Wenndorf. Auf Initiative von Harms lade die LAB zwei Mal im Jahr die Heseper zu einem Tag der offenen Tür in das Lager ein, in dem derzeit knapp 900 Bewohner leben, erzählt die Familie. Die meisten stammen aus Syrien, Irak, Guinea, Afghanistan und der Türkei. Die Wenndorfs waren schon mehrfach dabei. «Wäre
Samantha nicht, wäre vieles hier nicht gelaufen. Sie ist das Bindeglied, das wir brauchen», sagt Patrick Wenndorf.
Auch für die Politik ist Samantha Harms ein Glücksgriff. Die Beschwerden und Anfragen seien weniger geworden, erklärt Bürgermeister Heiner Pahlmann (SPD). Bereits seit 1989 werden auf dem rund 17 Hektar großen Gelände einer ehemaligen Nato-Kaserne Migranten untergebracht. «Die Heseper haben gelernt, mit der LAB umzugehen», sagt Pahlmann und ergänzt sogleich: «Aber sie haben auch das Recht, gehört zu werden.» Die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen hat sich das Streetworking-Projekt zum Vorbild genommen und ein ähnliches in Bad Fallingbostel initiiert, berichtet eine Sprecherin.
Dass auch eine Streetworkerin nicht alle Probleme lösen kann, zeigt sich an der nächsten Bushaltestelle. Harms begrüßt freundlich eine Anwohnerin. Die Haltestelle ist fast jeden Abend Treffpunkt für junge Geflüchtete. Sie hören laute Musik, trinken Alkohol, urinieren in die Grünanlagen. Die Anwohner sind stinksauer. Samantha Harms bemüht sich seit langem in Gesprächen mit Stadt und Politik um Lösungen. Jetzt wurde die Rückwand des Wartehäuschens entfernt, um die Attraktivität des Treffpunkts zu verringern. «Gebracht hat das nichts», sagt die Nachbarin und seufzt. Persönlichen Kontakt zu Geflüchteten habe sie nicht: «Aber ehrlich gesagt möchte ich das auch gar nicht.»
Samantha Harms lässt das so stehen. Die Streetworkerin findet, es sei ein gutes Zeichen, dass die Frau sich überhaupt an sie gewandt habe. Sie macht ihre Arbeit gerne, «sie fließt mir aus dem Herzen». Dennoch ist sie abends oft erschöpft, gibt sie zu. «Es ist schwer, allen Menschen gerecht zu werden.»