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Säkulare und Strengreligiöse streiten um Jom-Kippur-Gebete

Dürfen strengreligiöse Juden in Israel auch in mehrheitlich säkularen Orten ihre Art des geschlechtergetrennten Betens einfordern? An der Frage entzündet sich am jüdischen Versöhnungstag Jom Kippur vielerorts die Diskussion.

Geschlechtertrennung bei Gebeten zum Ende des jüdischen Versöhnungstags Jom Kippur haben am Montagabend zu Demonstrationen in Tel Aviv, Jaffo, Haifa, sowie weiteren Orten Israels geführt. An mehreren Orten im Stadtzentrum von Tel Aviv versammelten sich Gegner der geschlechtergetrennten Gebete, wie israelische Medien berichten. Teilweise ging die Polizei gegen die Demonstranten vor; ein Mann wurde demnach festgenommen.

Laut den Berichten gelang es Aktivisten, die Durchführung der Gebete mit Geschlechtertrennung an mehreren Orten zu verhindern. Die Gebete wurden demnach in nahe gelegenen Synagogen durchgeführt.

Rund 200 Aktivisten versammelten sich auf dem Dizengoff-Platz im Zentrum von Tel Aviv, wo ein geschlechtergetrenntes Gebet stattfinden sollte. Nachdem sie von der Polizei aufgefordert worden waren, den Platz zu verlassen, hielten die Gläubigen den Gebetsgottesdienst in nahegelegenen Synagogen ab.

Bereits am Sonntagabend war es in Tel Aviv zu Störungen von Gebeten im öffentlichen Raum gekommen. Die Stadtverwaltung hatte die Genehmigung für öffentliche geschlechtergetrennte Gebete verwehrt. Eine jüdische Hochschule (Jeschiwa) hatte sich daraufhin an das zuständige Gericht gewandt, das den Antrag aber ebenfalls ablehnte.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu kritisierte die Proteste als hasserfüllt und gewalttätig. “Es scheint, als gäbe es keine Grenzen, keine Normen und kein Limit für den Hass der Linksextremisten”, schrieb er in Sozialen Medien (Montag). Netanjahus Sohn Jair verglich die Demonstranten am Dienstag auf Facebook mit “Antisemiten in Europa”, die “den Juden die Schuld gaben, nachdem sie Pogrome begangen hatten”.

Der rechtsradikale Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir (Jüdische Stärke), kündigte für Donnerstag ein öffentliches Gebet auf dem Dizengoff-Platz an. An Jom Kippur habe man gesehen, “wie Hasser versucht haben, das Judentum aus dem öffentlichen Raum zu verbannen”, sagte er laut der Zeitung “Haaretz”. Von “Aufwiegelung durch Religionshasser” sprach auch Tel Avivs Oberrabbiner Jisrael Meir Lau. Der Vorsitzende der Partei der “Nationalen Einheit”, Benny Gantz, warf dagegen Netanjahu vor, Öl ins Feuer zu gießen; er sei “der größte Schürer von Hass”.

Kritik an den strengreligiösen Befürwortern der Geschlechtertrennung bei Gebeten im öffentlichen Raum äußerte auch Oppositionsführer Jair Lapid (Jesch Atid). Bislang sei Jom Kippur ein Beispiel dafür gewesen, dass das Judentum nicht durchgesetzt werden müsse – “bis messianische und rassistische Gruppen von außen versucht haben, uns ihr Judentum aufzuzwingen”, so Lapid laut Berichten. Damit hätten sie diesen heiligen Tag in einen weiteren israelischen Kampf verwandelt.

Tel Avivs Bürgermeister Ron Huldai erneuerte seinen Widerstand gegen Geschlechtertrennung im öffentlichen Raum. Wer die Anordnungen der Stadt nicht respektiere, dürfe künftig nicht mehr im öffentlichen Raum tätig sein.

Beobachter werten die Auseinandersetzung um die Jom-Kippur-Gebete als Zeichen eines Kulturkriegs um die jüdische Identität eines jeden Juden in Israel. Verstärkt werde die Auseinandersetzung um Religion, religiösen Zwang und Religionsfreiheit durch die gegenwärtige rechtsnationale Regierung und ihre Justizreform.