Von Bettina Gabbe (epd)
Peter hat Rückenschmerzen und braucht deshalb einen auf seine Maße verstellbaren Rucksack. Der junge Mann in schwarzem Kapuzenpulli und schwarzer Hose lebt seit Jahren auf der Straße. In Berlin half er nun, einen auf die Bedürfnisse von Obdachlosen zugeschnittenen Rucksack zu entwerfen. Das Rambler Studio, eine Sozialeinrichtung der Diakonie für junge Wohnungslose im Szene-Viertel Friedrichshain, befragte zunächst Betroffene, was ihnen besonders wichtig sei. Wasserdicht, robust und vor allem leicht müsse er sein, habe die Antwort gelautet, berichtet die Designerin Lisa Steinert, die im Rambler Studio als Kreativ-Coach arbeitet.
Auf dem großen Tisch in dem Ladengeschäft liegen Entwürfe – von den ersten Bleistiftskizzen bis zu am Computer immer wieder veränderten Modellen des Rucksacks. Im Fenster hängt ein buntes Herrenhemd, das Peter aus einem Bettlaken geschneidert hat, das er auf der Straße gefunden hat.
Kleidung verändern und entwerfen
Das Rambler Studio bietet jungen Wohnungslosen nicht nur die Möglichkeit, einen Tee zu trinken, sich zu waschen oder sich über Unterstützungsangebote beraten zu lassen. Sie können auch zeichnen und nähen lernen sowie eigene Kleidungstücke verändern, entwerfen oder mit der Siebdruckmaschine farbig gestalten.
„Peter wusste vielleicht vorher nicht, dass er ein Herrenhemd nähen kann“, vermutet Anna Lederle, die Sprecherin der Jugendhilfedienste „Neue Chance“ der Diakonie, die das Rambler Studio betreiben und Mitglied im Diakonischen Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz sind. Das Hemd würde gut ins Schaufenster einer Berliner Vintage-Boutique passen. Was er in seinem eigens gestalteten Rucksack transportiert? „Kleidung, Essen, Telefon, eine Powerbank, Kabel und ein Zeichenbuch“, sagt er freundlich, aber wortkarg.
Stolz ist der knapp 30 Jahre alte Mann auf den Hüftgurt, den er für den Rucksack entwickelt hat: Dieser kann vollständig herausgezogen und als Bauchtasche für Wertsachen und Dokumente benutzt werden. „Man kann den Gürtel beim Schlafen am Körper tragen“, ergänzt Lederle. Obdachlose würden häufig bestohlen, morgens seien dann nicht nur die Schuhe weg.
„Ein richtiger Obdachloser hat Wohnzimmer, Küche und Bad dabei“, erklärt Rainer im Rambler Studio. Der 62-Jährige lebte selbst einige Jahre lang auf der Straße. Außerdem wichtig: Der Rucksack müsse über viele Außenbefestigungen verfügen: „Denn du hast Stiefel, Schuhe und Kochgeschirr außen dran, das darf nicht durch die Gegend baumeln.“ In sein mit akribisch kolorierten Fantasie- und Konstruktionszeichnungen angefülltes rotes Skizzenbuch hat er ein Zitat des Künstlers Joseph Beuys geschrieben, das genau auf das Rambler Studio mit seinen Kreativ-Angeboten passt: „Jeder Mensch ist ein Künstler.“
Talente entdecken und fördern
Beim Betreten des Studios fallen Jacken aus Sweatshirt-Stoff in den Blick, die Obdachlose mit bunter Textilfarbe in dicken Schichten bemalt haben. Kreativität scheint aus jeder Ecke zu strömen. Ein junger Mann, der sich gerade im Kleidungslager etwas Neues anzieht, wirkt mit seinem tätowierten Oberkörper selbst wie ein Kunstwerk.
Die Mischung aus Sozialangebot und Kreativität soll Wohnungslosen, die bei Behörden durchs Raster fallen, den Weg zur Hilfe erleichtern. Auch die Entwicklung des Rucksacks diente unter anderem dazu, Talente der Betroffenen zu entdecken und dadurch deren Selbstvertrauen zu stärken. „Die Idee ist nicht, es den Leuten möglichst bequem zu machen und den Verbleib auf der Straße zu fördern“, sagt die Sprecherin der „Neuen Chance“ über das Projekt, einen auf die Bedürfnisse von Obdachlosen zugeschnittenen Rucksack zu entwerfen: „Sondern es geht darum, denjenigen ein niederschwelliges Angebot zu machen, die etwas an ihren Lebensumständen verändern möchten.“
Rund 3000 Rucksäcke sollen hergestellt und kostenlos an Wohnungslose verteilt werden. Dazu sind Sponsoren notwendig, pro Rucksack wird mit 150 Euro kalkuliert. Wobei das Design auch für nicht-wohnungslose Menschen interessant sein könnte: Die Rückenlänge ist verstellbar, ein Reflektorband erhöht die Sichtbarkeit im Dunkeln, er enthält ein Regen-Cape, das auch als Plane benutzt werden kann, und die Möglichkeit, per Karabiner Schuhe oder einen Hundenapf anzuhängen.