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Rollender Knast auf Zeit

Der weiße Reisebus mit dem grünen Streifen hat keine Toiletten und auch sonst wenig Komfort – trotzdem steigen die Reisenden gerne ein. Denn für sie ist eine Fahrt eine willkommene Abwechslung zur Schwere und Monotonie ihres Alltags. „Wenn sie zum Fenster hinausblicken, dann nehmen sie Dinge wie die Sonne, Bäume, Blumen oder Weizenfelder, die vorbeifliegen, viel intensiver wahr als wir“, sagt Karl-Heinz König. Die Reisenden sind nämlich Häftlinge, und König ist der Leiter des Transportwesens bei der Justizvollzugsanstalt (JVA) Heimsheim im Enzkreis.

Gefangenensammeltransporte sind für ihn und seine 17 Mitarbeiter Alltag. 13.700 Männer und Frauen haben sie im vergangenen Jahr befördert. König und sein Team koordinieren und übernehmen von Heimsheim aus alle Fahrten in Baden-Württemberg. Sie fahren täglich von Montag bis Freitag wie Linienbusse die verschiedenen Gefängnisse an.

Die Anlässe sind vielfältig. Neben Gerichtsterminen sind es meistens Verlegungen – Insassen kommen nach der U-Haft fest in eine JVA. Oder in einer anderen Anstalt sind die Ausbildungs- oder Schulangebote besser. Oder die Straftäter werden näher an ihre Heimatgemeinde gebracht, damit Angehörige sie häufiger besuchen können.

Das Transportwesen der JVA Heimsheim hat sich seit 50 Jahren auf die Fahrten von Gefangenen spezialisiert. Die zentrale Lage in Baden-Württemberg sowie der nahegelegene Autobahnanschluss bringen viele Vorteile. „Und uns ist während der Fahrt noch nie ein Häftling abhandengekommen“, sagt Karl-Heinz König.

Damit das so bleibt, gelten an Bord die gleichen strengen Trennungsgrundsätze wie in den Hafträumen der JVA. Heranwachsende dürfen beispielsweise nicht mit Erwachsenen zusammensitzen. Männer nicht mit Frauen. Und Untersuchungshaftgefangene nicht mit Strafgefangenen.

Während der Fahrt bleiben die Türen verschlossen. Bis zu 30 Häftlinge finden im großen Reisebus Platz. Neben Einzelzellen gibt es noch Doppel- und Viererabteile mit schmalen Fenstern, einen Tisch gibt es nicht. Vier Justizbeamte, davon zwei Fahrer, begleiten die Insassen auf dem Weg durch Baden-Württemberg. Sie werden entweder von einer JVA im Südwesten zu einer anderen gebracht. Oder an der Landesgrenze abgeholt und zu einem Übergabepunkt gefahren.

Ein Beispiel: Kommt ein Häftling aus München, wird er in Ulm von den Heimsheimer Justizbeamten in Empfang genommen und nach Mannheim gefahren, wo schon die hessischen Kollegen warten. Gefangene, sagt König, können so schon mal bis zu 14 Tage unterwegs sein, wenn sie aus Süddeutschland an die Ostsee verlegt werden. Aus diesem Grund haben sie in Heimsheim auch bis zu 67 Haftplätze für solche Fälle eingerichtet: Durchgangshäftlinge, die nur drei, vier Tage bleiben, bis sie weiterfahren.

In den Justizvollzugsanstalten können sie auch aufs Klo gehen und warm essen. Auf einem Rastplatz nicht. „Zu risikoreich“, sagt König. Auch wenn es bisher zu keinem Ausbruch kam. Zwischenfälle gibt es immer wieder. Neben technischen Defekten am Bus sind das vor allem medizinische Notfälle wie Schwächeanfälle. „Dann verständigen wir sofort die Polizei, damit sie Bus und Türen sichern kann“, sagt König. „Alles folgt einem genauen Ablaufplan.“

Welchem, das verrät er genauso wenig wie die exakten Routen der Reisebusse. Sie legen an einem Tag bis zu 550 Kilometer in Baden-Württemberg zurück. Das entspricht einer Laufleistung von etwa 880.000 Kilometern im Jahr.

Aber es gibt auch Situationen, in denen die rund 700.000 Euro teuren Spezial-Reisebusse im Einsatz stehen dürfen. Bei Demonstrationen zum Beispiel. Oder zuletzt bei der Fußball-Europameisterschaft. Die Reisebusse werden erst dann als rollende Hafträume gebraucht, wenn Rowdys oder Hooligans festgenommen werden. „Wir können uns so für die Amtshilfe der Polizei revanchieren“, sagt der Leiter der JVA Heimsheim, Frank Jansen. (2822/16.12.2024)