Bei den Veranstaltungen zum Gedenktag für die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft rund um den 27. Januar soll in diesem Jahr eine lange verdrängte Opfergruppe in den Mittelpunkt gestellt werden. Erinnert werde insbesondere an Menschen, die als „Asoziale“ oder „Berufsverbrecher“ verfolgt worden waren, teilte die Mainzer Landtagsverwaltung am Mittwoch mit. Gastredner bei der Landtagsgedenksitzung ist der Diplom-Mathematiker und Buchautor Alfons Ludwig Ims, dessen Vater im Armenviertel Kalkofen in Kaiserslautern lebte und nach dem NS-Sprachgebrauch als „moralisch minderwertig“ und „asozial“ galt.
Von den Nationalsozialisten wurden beispielsweise Wohnungslose, Bettler und Fürsorgeempfänger systematisch verfolgt. Wegen Eigentumsdelikten Vorbestrafte wurden als „Berufsverbrecher“ in Konzentrationslagern inhaftiert, obwohl sie nicht erneut straffällig geworden waren. Erst 2020 seien diese Gruppen offiziell als Opfer der NS-Diktatur anerkannt worden, erklärte Landtagspräsident Hendrik Hering (SPD): „Die Veranstaltung geht auch der Frage nach, wie es zu der jahrzehntelangen Leugnung dieses Unrechts kommen konnte und welche Wege es heute aus dem Verleugnen und Vergessen geben kann.“ Bereits ab 9. Januar ist im Landtagsgebäude die Wanderausstellung „Wohnungslose im Nationalsozialismus“ der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe aus Berlin zu sehen.
Landesweit finden in den kommenden Wochen zahlreiche Gedenkveranstaltungen, Lesungen und Podiumsgespräche statt. Ökumenische Gottesdienste in der Rheinhessen-Fachklinik in Alzey (26.1.) und in der Rhein-Mosel-Fachklinik in Andernach (29.1.) erinnern an die von den Nationalsozialsten ermordeten Psychiatrie-Patienten. In Nierstein (Landkreis Mainz-Bingen) berichtet der heute 95 Jahre alte ehemalige hessische Oberstaatsanwalt Gerhard Wiese am 27. Januar bei einer Veranstaltung der AWO über den Frankfurter Auschwitz-Prozess.
In der neuen Mainzer Synagoge diskutieren am 8. Februar Vertreter der jüdischen Kultusgemeinden, des Landesverbandes der Sinti und Roma sowie weiterer Verfolgtengruppen über die Zukunft der Gedenkarbeit in Rheinland-Pfalz. Die KZ-Gedenkstätte in Osthofen bei Worms zeigt vom 23. Januar bis 25. Februar die Cartoon-Ausstellung „Antisemitismus für Anfänger“.
Der 27. Januar ist seit 1996 in der Bundesrepublik offizieller Gedenktag für die Opfer der NS-Herrschaft. Am 27. Januar 1945 waren die überlebenden Häftlinge des Vernichtungslagers Auschwitz von Soldaten der sowjetischen Roten Armee befreit worden. Der Landtag von Rheinland-Pfalz kommt seit 1998 am Jahrestag der Befreiung zu einer Sondersitzung zusammen.