Artikel teilen:

Report: Mehr Hochaltrige in Kliniken – Patientenschützer-Kritik

Eine wachsende Zahl alter Menschen stellt die Medizin vor große Herausforderungen. Schon jetzt werden in Kliniken zunehmend Senioren mit mehrfachen Erkrankungen behandelt.

Deutschlands Krankenhäuser müssen in den kommenden Jahren mit einer doppelten Herausforderung fertig werden: Erwartet werden deutlich weniger Personal und immer mehr hochaltrige Patienten. Darauf seien die Kliniken nur ungenügend vorbereitet, heißt es in dem am Mittwoch in Berlin veröffentlichten Krankenhaus-Report der Krankenkasse AOK.

In den 2050er und 2060er Jahren werden nach Prognosen der Bevölkerungsforscher zwischen sieben und zehn Millionen hochaltrige Menschen in Deutschland leben. Zugleich sinkt die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter deutlich.

Ein Schlüssel zur Lösung des Problems liegt aus Sicht der AOK in einer besseren häuslichen Versorgung pflegebedürftiger Patientinnen und Patienten: Dadurch könnten nach einer Auswertung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK rund 1,4 Millionen Krankenhaus-Aufenthalte pro Jahr vermieden werden. Nach dem Vorbild anderer europäischer Länder sollte zudem die Versorgung Hochaltriger vor und nach einem Krankenhausaufenthalt verbessert werden, rät die AOK.

Laut Krankenhaus-Report ist der Anteil der Menschen über 80 Jahren an allen Krankenhausfällen in den vergangenen knapp 20 Jahren kontinuierlich gestiegen – von 13 Prozent 2005 auf 22 Prozent 2023. Bei den Hochaltrigen liegen zudem meist mehrere Erkrankungen gleichzeitig vor.

Der steigende Anteil hochaltriger Patienten hat auch ökonomische Auswirkungen: Die Krankenhaus-Verweildauer ist bei über 80-Jährigen mit durchschnittlich 8,1 Tagen fast doppelt so hoch wie bei Menschen unter 60. Die durchschnittlichen Krankenhaus-Kosten waren bei den über 80-Jährigen mit 3.351 Euro im Jahr 2023 fast sieben Mal so hoch wie bei den unter 60-Jährigen mit 470 Euro.

Der Krankenhaus-Report zeigt Ansätze auf, wie Versorgungsstrukturen verbessert werden können. Dazu gehöre vor allem die Verhinderung oder Verkürzung stationärer Behandlungen durch eine bessere Versorgung vor und nach einem Krankenhausaufenthalt. Eine ambulante Versorgung sei für die Betroffenen in der Regel medizinisch sinnvoller, ökonomisch günstiger und könne helfen, die kostbaren Krankenhaus-Ressourcen “sparsam und zukunftsfest” einzusetzen, hieß es.

Laut Report müssten Erkrankungen identifiziert werden, die idealerweise von einem niedergelassenen Arzt oder von Pflegeberufen versorgt werden sollten. Auch die von der Ampel-Koalition geplanten sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen, die neben stationären auch erweiterte ambulante sowie medizinisch-pflegerische Leistungen anbieten, könnten die Krankenhäuser entlasten.

Clemens Becker, Leiter der “Unit Digitale Geriatrie” am Geriatrischen Zentrum des Universitätsklinikums Heidelberg, sprach sich dafür aus, stärker in die Allgemeinmedizin und die Prävention zu investieren. Auch Angebote wie Kurzzeitpflege sollten gestärkt werden.

Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, kritisierte: “Es ist keineswegs überraschend, dass bei einer älter werdenden Gesellschaft proportional immer mehr alte Menschen eine stationäre Versorgung benötigen. Das zeigt, dass sich nicht nur die Krankenhäuser, sondern vor allem die ambulante medizinische Versorgung auf diese absehbare Entwicklung nicht vorbereitet haben.”

Wenn Facharzttermine kaum zu bekommen seien, Schnittstellen zwischen einzelnen Professionen im ambulanten Bereich nicht funktionierten und ärztliche Besuche daheim ausblieben, endeten medizinische Krisen oft in Krankenhäusern, so Brysch. “Das von der künftigen Regierungskoalition geplante Primärarztsystem für alle wird diese Krise noch verschärfen.”