Predigttext
9 Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin. 10 Denn ich will die Wagen vernichten in Ephraim und die Rosse in Jerusalem, und der Kriegsbogen soll zerbrochen werden. Denn er wird Frieden gebieten den Völkern, und seine Herrschaft wird sein von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis an die Enden der Erde.
Tochter Zion, freue dich, jauchze laut. Jerusalem“ – schon als kleines Pastorenkind liebte ich diese Worte und die schmetternde Melodie. Die festliche Musik ließ mein Herz beben vor Freude: So schön ist der Advent, so schön ist die Vorfreude. Wie schön muss dann Weihnachten erst sein, wenn ER wirklich kommt.
Jetzt, viele Jahre später, schon lange kein kleines Pastorenkind mehr, seit Kurzem auch kein Gemeindepfarrer, sondern Verantwortungsträger im mittleren kirchlichen Management, habe ich die unmittelbare, jähe Freude, die durch den Leib zuckt wie ein scharfes Messer, verlernt, abgestumpft durch die dumpfen Schläge des Schicksals und die linearen Prognosen über Kirchenmitgliederzahlen und Steuerentwicklungen.
Nie ist ER persönlich gekommen. Dafür ist dieses Jahr Corona gekommen. Es ist gefährlich zu singen. „Tochter Zion“ ist gefährlich! Man sagt, Corona bringe an den Tag und verstärke, was sowieso schon bei uns verborgen lag. Wenn das stimmt, was heißt das für uns Evangelische Kirche? Ist die Hoffnung auf den Messias, der kommen soll und dann so lange auf sich warten lässt, gefährlich? Dann sich lieber nicht anstecken.
Unsinn. Geht doch gar nicht. Wenn einmal die Hoffnung in dir brannte, dann lässt sie sich nicht auslöschen, dann glüht sie unter der Asche. Wenn du einmal mit dem Virus der Hoffnung infiziert worden bist, dann steckst du damit andere an. Und wenn ich nicht in der Kirche laut singen möchte, um niemanden gesundheitlich zu gefährden, dann singe ich auf dem Fahrrad, wenn ich durch die Soester Straßen fahre. Sollen die Leute sich doch umgucken.
Welcher Virus der Hoffnung wohnte in Sacharja? Welcher unendlichen Geduld hat er Ausdruck gegeben? Sacharja ist das vorletzte Buch des Alten Testamentes. So viel ist seit der ersten Seite des Ersten Buches Mose schon passiert! Eine ganze Welt wurde geschaffen und fast wieder geflutet, Menschen wurden berufen, Gefangene durchs Meer geführt, Zelte auf- und abgebaut, Kriege gewonnen und verloren, Könige eingesetzt und verworfen, Propheten berufen und im Stich gelassen, eine Heilige Stadt gegründet und zerstört, der Tempel der Tempel aufgerichtet und später verbrannt, ein Volk ins Exil geführt und zurückgebracht. Was bleibt: Augenscheinlich ein Trümmerhaufen. Auf diesem Trümmerhaufen sitzt der Prophet Sacharja und zieht die Bilanz.
Diese Bilanz, die er zieht, ist genauso bunt, widersprüchlich, grell wie die Geschichte, auf die er zurückblickt, genauso anziehend und abstoßend, wie wir Menschen selbst es sind, genauso verlockend liebevoll und rätselhaft verborgen, wie Gott selbst sich die ganze Zeit gezeigt hat.
Eines in jedem Falle ist diese Bilanz: positiv: „Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer…“ Dieser König hat das Töten verlernt, verzichtet auf Großmachtallüren und Statussymbole. Er setzt bei seinem eigenen Volk nicht auf Panzer oder Drohnen, sondern auf die Macht der Worte. „Denn ich will die Wagen vernichten in Ephraim und die Rosse in Jerusalem, und der Kriegsbogen soll zerbrochen werden. Denn er wird Frieden gebieten den Völkern.“
Achtung: Der Prophet Sacharja ist kein lupenreiner Pazifist. Er enthält befremdliche fremdenfeindliche Passagen neben anrührenden Visionen gelingender Interkulturalität. Er singt berückend das Hohelied der Gerechtigkeit und lässt sich zu maßlosen Ausbrüchen der Gewalt hinreißen. Sacharja war eben auch nur ein Mensch. Inmitten dieser Widersprüchlichkeit taucht das Bild vom demütigen König auf.
Und Jahrhunderte später taucht einer auf, der tatsächlich auf einem Esel einzieht, um kurz darauf als dornengekrönter König hingerichtet zu werden. Und dieser taucht wieder auf aus dem Tal des Todes, als der Auferstandene.
Seitdem bleibt die Hoffnung: dass nicht die Autokraten und die Demagogen, dass nicht die Bürokraten und die Bücklinge, dass nicht die Schreibtischtäter und die Schlägertrupps das letzte Wort haben. Sondern dass am Ende der König kommt, von dem es heißt: „Ein Gerechter und ein Helfer.“