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Raus aus dem Elfenbeinturm der Archäologie im Heiligen Land

“Deutsches Evangelisches Institut für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes” (DEI): Der Name ist vielleicht sperrig. Die Einrichtung dahinter hat sich seit ihrer Gründung vor 125 Jahren Ansehen weit über deutsche oder archäologische Wissenschaftskreise hinaus erarbeitet. Ihr Direktor Dieter Vieweger erläutert im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Jerusalem, wie sich das DEI von einer kolonialen Einrichtung zu einem anerkannten Wissenschaftspartner im Nahen Osten entwickelt hat – und warum es das Institut auch heute noch braucht.

KNA: Herr Vieweger, wo liegen die Anfänge des DEI?

Dieter Vieweger: 1898 wurde im Beisein Kaiser Wilhelms II. die Erlöserkirche in der Jerusalemer Altstadt eingeweiht. Unter ihr wurde beim Bau eine Mauer gefunden. Damals suchte man nach der Stadtmauer des Herodes des Großen. Katholiken und Protestanten stritten um die Echtheit der Grabeskirche. Die Protestanten argumentierten, wenn die Kirche innerhalb der Stadtmauern gelegen habe, könne es dort während des jüdischen Pessachfests keine Hinrichtung gegeben haben.

Die Mauer unter der Erlöserkirche, die als herodianische Stadtmauer interpretiert wurde, verlief so, dass der Nordteil der Grabeskirche mit Golgotha außerhalb der Stadt gelegen hätten. Ein so schwerwiegendes Glaubensproblem gelöst zu haben, erfüllte den Kaiser mit Genugtuung. Der Wissenschaft, die dazu beigetragen hat, sollte ein Institut in Jerusalem gewidmet werden. Die Idee des “Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes” war geboren.

KNA: Die Gründung fällt in eine Zeit zahlreicher ausländischer Gründungen im Heiligen Land.

Vieweger: Die großen Mächte beanspruchten damals das Heilige Land als ihr Gebiet. Auch die Gründung des DEI ist zunächst rein kolonial zu sehen. Es wurde nicht für die Einheimischen, sondern in Konkurrenz zu Mächten wie Frankreich, Italien, den USA etabliert. Anfangs arbeitete es nicht archäologisch. Trotzdem hat Gustaf Dalman als erster Direktor eine wichtige Grundlage gelegt. Er begann die ethnologische Forschung, als Versuch, eine Brücke zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart zu schaffen. Seine kluge Arbeitsweise, in der noch vorindustriellen Zeit alles – von Vögeln über Blumen und Steine sowie Dia-Aufnahmen – zu sammeln, erlaubt einen Rückblick mindestens bis ins Mittelalter, teilweise bis in biblische Zeit.

KNA: Wann wurde das DEI zu einem grabenden Institut?

Vieweger: Das sollte bis 1964 dauern. In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen wurde das Institut durch die Lehrkurse zusammengehalten, die seit 1903 jährlich durchgeführt werden: Sechs Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen besuchen das Heilige Land. Man wollte zeigen, dass man nicht in Deutschland über Texte philosophieren sollte, deren geografischen Ursprung man nicht greifen kann.

KNA: Hat dieser Ansatz in der digital vernetzten Welt noch Bestand?

Vieweger: Wenn man Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen zum ständigen Gespräch auffordert, bieten sich große Chancen, das Wissen zu erweitern. Eine Wissenschaft allein ist mit der Komplexität des Gebietes überfordert. Gleichzeitig steht Wissenschaft jeweils in ihrem gesellschaftlichen Kontext, auch die Theologie. Wir müssen sie davor bewahren, zu sehr sich selbst hineinzutragen. Geht raus und kommt den Texten näher!

KNA: Was macht das DEI heute aus?

Vieweger: Heute besteht das DEI aus dem Jerusalemer Institut und einer Zweigstelle in Jordanien. Dass wir in zwei Ländern graben und forschen, ist eine Besonderheit des DEI. Wir verstehen uns heute als Gäste und stehen unter den Antikengesetzen der jeweiligen Länder. Damit werden die anderen Institute von Konkurrenten zu Kollegen. Man lernt voneinander. Gleichzeitig kippte Israel 2011 den Status “historisches Institut” zugunsten eines einheitlichen Rechts. Seither sind wir Universitäten und anderen Lehreinrichtungen gleichgestellt und müssen uns an gleichen Ansprüchen messen lassen.

KNA: Sie erleben die israelische Archäologie. Es gibt aber auch Vorwürfe an Archäologen, sie würden mit der Bibel in der Hand ausgraben.

Vieweger: Es gibt in allen drei Religionen jene, die ihr heiliges Buch aufschlagen, um dann archäologische Beweise zu finden. In Jerusalem fällt es stärker auf, weil es so viele Archäologen und Grabungen gibt. Die Versuchung ist da, aber bei den allermeisten gibt es ein ernstes Bemühen, gute Archäologie zu betreiben. Es gibt eine zweite Sollbruchstelle: zwischen den für Laien unlesbaren archäologischen Berichten und dem, was Fremdenführer daraus machen. Das ist oft verkürzt und manchmal sehr ideologisch. Dagegen gibt es auch Gegenwehr, und, was mir in Jerusalem sehr gut gefällt: Man darf streiten.

KNA: Sie arbeiten in zwei Ländern mit drei Religionen und einem anhaltenden Konflikt. Wird man dazwischen nicht zerrieben?

Vieweger: Das Institut ist laut Google Maps eine demilitarisierte Zone. Ich bin Gast, keine Partei. Ich bin bereit, jedermanns Freund zu sein, und weigere mich, Feind zu sein. Ich kann keiner Seite vorschreiben, Frieden zu schließen, doch ich kann beiden Seiten “aber” sagen. In unserem Schulprojekt versuchen wir Oberstufenschülern zu vermitteln, dass dieses Land allen gehört. Weder Religion noch Geschichte liefern endgültige Antworten. Das regt an zum Nachdenken und fördert Toleranz. Darin liegt unsere Stärke.

KNA: Das DEI in 50 Jahren?

Vieweger: Wir sind Gesprächs- und Wissenschaftspartner für die Völker um uns. Das möchte ich durch ein System von Fellows weiterentwickeln. Gastmitglieder jeglicher wissenschaftlichen Couleur sollen bei uns Projekte mit ihren Partnern durchführen können und sich im Gegenzug mit einem Vortrag einbringen. Wir planen einen Neubau, damit pro Jahr etwa 50 hochkarätige europäische Gäste kommen können, die einerseits ihren Input mitbringen, andererseits bereichert zurückgehen. So wollen wir zum Wissenschaftsvermittler werden und gegen das Elfenbeinturmphänomen ankämpfen.