Fotografien seltsam stiller Orte sind Candida Höfers Markenzeichen: Die pilzförmigen Lampen auf den Lesepulten der Französischen Nationalbibliothek in Paris leuchten. Dennoch sind weit und breit in dem weitläufigen Raum mit der Kuppeldecke keine Leser zu sehen. Auch die roten Designer-Tische und Drahtkorbstühle in der Kantine des Hamburger Spiegel-Verlagshauses stehen ungewöhnlich verlassen da. Candida Höfers Fotografien gewinnen ihre Eindringlichkeit aus der Tatsache, dass etwas fehlt: Menschen.
Die Kölner Foto-Künstlerin, die am 4. Februar 80 Jahre alt wird, zeigt öffentliche Räume, in denen normalerweise musiziert, gesprochen, gespeist oder gelesen wird, in einem ungewohnten Zustand: Sie besucht Bibliotheken, Auditorien, Museen, Restaurants oder Theater außerhalb der Öffnungszeiten, um dort zu fotografieren.
„Ich fühle mich privilegiert, in diesen Räumen zu fotografieren, zu einer Zeit, in der sie nicht überfüllt sind, und wo man auch den Raum als solchen wahrnehmen kann“, erklärte Höfer in einem Interview für das Frankfurter Städel Museum. Durch die Abwesenheit von Menschen treten die Linien und Strukturen der fotografierten Räume in den Vordergrund: Stuhlreihen, Fensterbögen oder Säulen. Gerade die merkwürdige Verlassenheit dieser öffentlichen Orte regt die Vorstellungskraft an.
Ihre Hinwendung zu leeren Räumen erklärt sie so: „Es wurde mir klar, dass das, was die Menschen in diesen Räumen tun – und was diese Räume mit ihnen machen – deutlicher wird, wenn niemand anwesend ist, so wie ein abwesender Gast eher zum Gegenstand eines Gesprächs wird.“
Candida Höfer kam 1944 im brandenburgischen Eberswalde zur Welt und wuchs in Köln als Tochter des Fernsehjournalisten und Moderators Werner Höfer auf. Ab 1963 absolvierte sie ein einjähriges Volontariat in einem Kölner Foto-Atelier und besuchte im Anschluss die Fotoklasse der Kölner Werkschule. 1973 begann sie ein Studium in der Filmklasse der Düsseldorfer Kunstakademie, an der es zu diesem Zeitpunkt noch keine Fotografie-Klasse gab.
Erst 1976 erhielt Bernd Becher in Düsseldorf die bundesweit erste Professur für Fotografie. Candida Höfer wurde seine Studentin und zählt heute zu den international bekanntesten Vertretern der berühmten „Becher-Schule“ neben Fotografen wie Thomas Ruff, Andreas Gursky, Thomas Struth oder Axel Hütte.
Das Interesse an klaren Strukturen und Raumwirkung leitete Höfer schon zu Beginn ihrer Karriere. Zunächst fotografierte sie dabei aber auch Menschen. Mitte bis Ende der 70er Jahre entstand etwa ihr Doppelzyklus „Türken in Deutschland“ und „Türken in der Türkei“, mit dem sie sich bereits Anerkennung erwarb.
Für ihre Arbeiten wurde die Fotografin vielfach ausgezeichnet. 2002 nahm sie an der documenta in Kassel teil und vertrat Deutschland 2003 auf der 50. Biennale in Venedig neben dem deutschen Künstler Martin Kippenberger. Im September dieses Jahres erhält sie den Käthe-Kollwitz-Preis der Akademie der Künste in Berlin.
Candida Höfer vertrete eine einzigartige Position in der Fotografie, sagt Karin Sander, Jurymitglied und Direktorin der Sektion Bildende Kunst der Akademie der Künste. „Ihre Innenräume, die sie wiederum in Innenräumen großformatig präsentiert, sind außergewöhnlich.“ Durch die Menschenleere entfalteten ihre Bilder eine ganz eigene Aura.
Höfer trägt nach eigenen Worten stets eine kleine Digital-Kamera bei sich, um erste Fotos von Räumen zu machen. Die Entscheidung für ein Motiv falle ihr leicht: „Der Raum muss eine bestimmte Größe, bestimmte Helligkeit, Farbigkeit haben.“ Bei ihrer Arbeit überlässt sie nichts dem Zufall. Die Art und Weise der Präsentation der Räume, die Farbigkeit und Lichtführung zeugten von großer Präzision, urteilt Sander: „Da stimmt jedes Detail.“ Ihre Arbeit erfordert genaue Planung, da sie ausschließlich mit dem natürlichen Licht der Orte fotografiert und keine Scheinwerfer einsetzt.
In den vergangenen Jahren hat sich Höfers Werk in Richtung Abstraktion verändert. Farbe, Fläche und Form gewinnen zunehmend an Bedeutung. Davon zeugt etwa eine Serie von Fotografien, die sie für eine gemeinsame Ausstellung des Kunstmuseums Liechtenstein und der Hilti Art Foundation im vergangenen Jahr anfertigte. Dafür fotografierte sie zum Beispiel die graue, glatte Fassade des Liechtensteiner Museums, die Innenräume von Lasten-Aufzügen oder aufgereihte Kisten in den Museumsdepots.
Die Entwicklung hin zu abstrakteren Motiven sei daraus entstanden, dass sie im Laufe der Jahre sehr viele Gebäude im barocken Stil fotografiert habe, erklärte Höfer in einem Interview mit dem Kunstmuseum Liechtenstein. An der Abstraktion habe sie der Gegensatz gereizt. „Für mich ist es interessant, auch mal in eine andere Richtung zu gehen.“