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Rabbinerausbildung startet ins Semester – unter neuen Vorzeichen

In Synagogen gestalten sie die Gottesdienste: Rabbiner und Kantoren. Wer die liberale oder konservative Richtung einschlagen möchte, kann sich hierzulande nur in Potsdam ausbilden lassen. Dort ist nun fast alles neu.

Jetzt, nach einer Reihe wichtiger jüdischer Feiertage, soll es richtig losgehen, wie Dmitrij Belkin sagt. Er ist Geschäftsführer einer neuen Stiftung für die Rabbinerausbildung in Potsdam. Neben der inhaltlichen Arbeit im Wintersemester soll es seinen Worten zufolge darum gehen, Brücken zu bauen und das Wohl der Studierenden im Blick zu haben. “Geduld und Empathie sind angesagt”, betont der 52-Jährige.

Kein Wunder, denn der seit Jahren offen ausgetragene Streit um die bundesweit einzigartige Ausbildung liberaler und konservativer Rabbiner und Kantoren dauert an. “Wir wissen, es geht jetzt besonders um die Studierenden”, sagt Belkin. “Die jungen Leute sitzen zwischen allen Stühlen. Sie sind wache und intelligente Menschen, aber auch verunsichert. Es gibt einen Konflikt, der tief und nicht auf Knopfdruck zu lösen ist.”

Dieser Konflikt verläuft vor allem zwischen dem Zentralrat der Juden in Deutschland, der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und der Union progressiver Juden in Deutschland. Die Folge sind Parallelstrukturen: Statt bislang drei Ausbildungssträngen in Potsdam gibt es nun sechs.

Bisher bildete lediglich das Abraham Geiger Kolleg liberale, das Zacharias Frankel College konservative jüdische Geistliche aus, als An-Institute der Universität Potsdam. Hinzu kamen angehende Kantoren und Kantorinnen. Im Streit um eine Neuordnung der Ausbildung hat der Zentralrat unlängst die Nathan Peter Levinson Stiftung gegründet.

Das hatte auch damit zu tun, dass der Dachverband für die Mehrheit der jüdischen Gemeinden in Deutschland nicht damit einverstanden ist, dass die Berliner Gemeinde Anfang 2023 die Trägerschaft für die bis dahin bestehenden Seminare übernahm. Der Zentralrat und die große Hauptstadtgemeinde liegen deswegen im Streit – und auch wegen anderer Punkte, etwa einer hoch umstrittenen Gemeindeparlamentswahl, die weder der Zentralrat noch Teile der Gemeinde anerkennen. Die Gemeinde und jüdisch-liberale Spitzenverbände kritisieren die Gründung der neuen Stiftung.

Innerhalb der Stiftung sind nun drei neue Seminare entstanden: das Regina Jonas Seminar für die liberale, das Abraham Joshua Heschel Seminar für die konservative und das Louis Lewandowski Seminar für die Kantorenausbildung.

Zuletzt standen auch Fragen rund um die Ordination im Raum, mit der Rabbiner und Rabbinerinnen nach einer wissenschaftlichen Ausbildung in ihr Amt berufen werden. Belkin sagt: “Wir sind in guten und konstruktiven Gesprächen mit der Central Conference of American Rabbis und sind absolut zuversichtlich, was die Anerkennung der Ordinationen angehender liberaler Rabbiner und Kantoren anbelangt.” Die Kommunikationswege zu den liberalen Spitzenverbänden World Union for Progressive Judaism und European Union seien offen, ein konstruktiver Austausch sei gewünscht.

Auch internationale Strukturen der Masorti-Bewegung (konservativ) begrüßten die Entstehung des Heschel Seminars, so Belkin. “Mit der Ziegler School of Rabbinic Studies, unserem Schlüsselpartner, haben wir eine substanziell wichtige Institution für die konservative Rabbinerordination.”

Im begonnenen Wintersemester lernen seinen Angaben zufolge an den drei neuen Seminaren insgesamt 14 Studierende. Sieben seien vom Zacharias Frankel College offiziell gewechselt, das Regina Jonas Seminar bekomme für das Wintersemester vier Gaststudierende, und das Louis Lewandowski Seminar drei Gaststudierende. Das Semesterprogramm und die Dozenten stünden fest, die Universität unterstütze die Stiftung bei Logistik und Infrastruktur.

Die Leistungen der Studierenden würden anerkannt und die der Gaststudierenden auch, sollten sie sich für ein Weiterstudium ab dem Sommersemester 2025 entscheiden, so Belkin. Das Curriculum werde vorbereitet. Die Zeit jetzt wolle man dem Aufbau und der inhaltlichen Arbeit der Stiftung widmen. Belkin zeigt sich optimistisch, dass Studierende den Weg zur neuen Stiftung finden.

Auch in den Seminaren in Trägerschaft der Berliner Gemeinde hat das Wintersemester begonnen. Studierende des Abraham Geiger Kollegs (AGK) haben unterdessen erklärt, dass sie nicht zur Stiftung wechseln wollen. Über deren “Treue” freue er sich, so der Gemeindevorsitzende Gideon Joffe. Auch seien drei neue Studierende hinzugekommen.

“Für mich ist dies der Beweis, dass wir als Trägerin des AGK die richtigen internen Strukturveränderungen durchgeführt haben und das hohe internationale Ansehen des AGK wiederherstellen konnten”, so Joffe. Zurzeit werden am Kolleg laut Gemeinde zwölf Studierende ausgebildet, davon drei angehende Kantoren.

Joffe sagt, er hoffe, dass sich die Kontroverse mit dem Zentralrat und den Zuwendungsgebern in gemeinsamen Gesprächen lösen lasse. “Die jüdische Gemeinschaft, die sich heute international, und längst auch in Deutschland, in Gemeinden mit unterschiedlichen jüdisch-religiösen Strömungen gliedert, darf sich angesichts des gestiegenen Antisemitismus einen weiteren Streit nicht leisten.”

Die Gemeinde sei zu Gesprächen bereit, erklärt der Vorsitzende. Es mache keinen Sinn, das seit 25 Jahren bestehende Abraham Geiger Kolleg “als erfolgreiche Rabbinats- und Kantoratsausbildungsstätte mit internationalem Ansehen jetzt zu zerstören”.