Von Uli Schulte Döinghaus
Was treibt einen gestandenen Mann von 59 Jahren dazu, ein komplettes Studium zu absolvieren, und zwar neben der Arbeit? Karrieregesichtspunkte können wir im Fall von Martin Jeutner ausschließen. Er hat einen auskömmlichen, herausfordernden und verantwortungsvollen Job als Leiter der Stabsstelle Kommunikation und Pressesprecher der diakonischen Stephanus-Stiftung.
Das gemeinnützige Unternehmen mit 3800 Mitarbeitenden kümmert sich in Berlin und Brandenburg um 10000 Menschen. „Es ging mir nicht darum, den Beruf zu wechseln“, sagt Martin Jeutner, der seit einigen Wochen auch studierter Diakon ist. „Ich wollte meine ganz persönliche Spiritualität weiterentwickeln und mir nochmal meine christliche Verortung und Positionierung deutlich machen.“
Diese Haltung will er auch in die Stephanus-Stiftung einbringen. Es könnte nämlich sein, dass die Haltung, die jedes Unternehmen im Kern auszeichnet, das sich auf seine diakonischen Wurzeln beruft, manchmal in den Hintergrund rückt angesichts der gewaltigen alltäglichen Herausforderungen unserer Zeit.
Aus der Küche in die Spendenakquise
Das Evangelische und das Diakonische sind ihm von Hause aus immer nah gewesen. Der Vater arbeitete als Theologe bei Luckau, später in der Altmark. Sein Bruder, Thomas Jeutner, ist Pfarrer der Versöhnungskirchengemeinde in Berlin-Mitte. Martin Jeutner ist gelernter Koch, arbeitete in der DDR unter anderem bei der Mitropa (Mitteleuropäische Schlafwagen- und Speisewagen Aktiengesellschaft), später in diakonischen Einrichtungen. Nach einer ergänzenden Fachhochschulausbildung gelangte er schließlich zum Stephanus-Stift, wo er vom Spendenakquisiteur zum Leiter der Stabsstelle Kommunikation aufstieg.
„Ich denke vor allen Dingen von den Menschen her“, sagt Jeutner. Darüber habe er sich in der jüngsten Vergangenheit immer mal wieder mit seinen theologischen Vorständen verständigt. Gemeinsam seien sie der Frage nachgegangen, was eigentlich das Christliche und Diakonische an einer bedeutenden Unternehmung sein kann, die sich im Wettbewerb mit anderen sozialen Trägern und privaten Einrichtungen behaupten will? Denn die Frage nach der „Diakonie“ ist mehr als der bloße Markenkern, sondern zielt auf die Integration von Seelsorge und Spiritualität in die Wirklichkeit des Unternehmens ab.
Bis Jeutner Ende September zum Diakon berufen wurde, mussten er und seine 17 Kommilitonen zwei Jahre lang biblische und systematische Theologie, Gottesdienstgestaltung und Wortverkündigung studieren, unter anderem auch Religionspädagogik, Kirchengeschichte und Musische Bildung. Plusminus 1000 Stunden habe er für das Studium aufgewendet, sagt Jeutner, inklusive 20 Präsenzphasen am Wichern-Kolleg, die von Donnerstag bis Sonnabend gehen. Dazu kommen Treffen mit Studienkollegen und – natürlich – das Selbststudium nach Feierabend.
Vollzeitjob plus Fernstudium
Martin Jeutners Vollzeitjob in der Stephanus-Stiftung dehnt sich meist auf 10-Stunden-Tage aus, daran schlossen sich bis zuletzt mindestens zwei Stunden tägliches Fernstudium an, mit vielen online-Konferenzen. Dabei kam ihm sein Alter durchaus zugute – die Kinder sind aus dem Haus, die Ehefrau absolvierte in der gleichen Zeit eine Weiterbildung. Man unterstützte und disziplinierte sich gegenseitig.