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Anstieg von Jugendgewalt: Polizei und Jugendhilfe überlastet

Bei Gewaltkriminalität durch Kinder und Jugendliche wird die Jugendhilfe nach Ansicht einer Expertin häufig zu spät eingeschaltet. Eine sofortige Reaktion auf Straftaten sei am wirksamsten.

Bei Gewaltkriminalität durch Kinder und Jugendliche wird die Jugendhilfe nach Ansicht der Pädagogikprofessorin Karin Böllert häufig zu spät eingeschaltet (Symbolbild)
Bei Gewaltkriminalität durch Kinder und Jugendliche wird die Jugendhilfe nach Ansicht der Pädagogikprofessorin Karin Böllert häufig zu spät eingeschaltet (Symbolbild)Imago/ serienlicht

Die Jugendhilfe wird nach Einschätzung einer Expertin bei Gewaltkriminalität von Kindern und Jugendlichen oft zu spät ins Boot geholt. “Am wirksamsten wäre es für die jungen Menschen und auch die betroffenen Familien, wenn eine unmittelbare Reaktion auf die Straftat erfolgt. Dies ist aber nicht immer der Fall”, sagte Karin Böllert, Pädagogikprofessorin an der Universität Münster, der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Die Polizei sei zum einen überlastet; zum anderen werde bei Strafunmündigkeit, also bei Kindern unter vierzehn Jahren, kein strafrechtliches Verfahren eingeleitet. “Das führt dann zu einer verspäteten Meldung der Polizei an die lokalen Jugendämter – die dann durch den Fachkräftemangel auch noch selbst oft überlastet sind.”

Anstieg von Gewalttaten von Kindern und Jugendlichen

Nach Angaben der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik stieg die Zahl der tatverdächtigen Kinder im vergangenen Jahr bei Gewalttaten um 11,3 Prozent, bei Jugendlichen um 3,8 Prozent. Dabei gehe es nicht um Personen, “die ihre Straftat lange planen, sondern das passiert aus der Situation heraus”, so Böllert, die auch Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe (AGJ) ist. “Von daher erfolgt auch die Reaktion darauf am besten unmittelbar nach dem eigentlichen Geschehen. Wenn das erst Monate danach kommt, dann hat es keine große Wirkung mehr.”

Als eine Ursache für eine Zunahme von Gewaltdelikten unter Kinder und Jugendlichen sieht Böllert die Corona-Pandemie. “Es gibt die Vermutung, dass durch die besonderen Bedingungen des Aufwachsens während der Pandemie Übungsorte, wo eben auch Sozialverhalten erlernt und ausprobiert werden konnte, weggefallen sind”, erklärte sie.

Kinder und Jugendliche aktuell mit mehr Konflikten konfrontiert

Zudem erlebten Kinder und Jugendliche zur Zeit “eine andere Konfrontation mit Gewalthandlungen” als vorausgegangene Generationen. Dies liege an Gewaltbildern in den Sozialen Medien, aber auch an der Auseinandersetzung mit zunehmenden kriegerischen Konflikten wie etwa dem Krieg in der Ukraine oder dem Konflikt zwischen Israel und Gaza.

Bei Straftaten von Kindern und Jugendlichen handele es sich in den allermeisten Fällen um “ubiquitäres” Verhalten, erklärte die Expertin – das heißt, in der Regel verüben sie nur ein einzelnes Mal eine kriminelle Handlung. Bei der kleineren Gruppe von Kindern und Jugendlichen, die mehrfach auffällig werden, kämen meist viele Probleme zusammen: “Das sind in aller Regel junge Menschen, die in Familien groß werden, die in mehrfacher Hinsicht belastet sind, etwa, weil das Einkommen nicht ausreicht, die jungen Menschen kaum soziale Kontakte haben, in der Schule gemobbt werden und selbst vielfach Gewalt erfahren haben.”

Mehr Teilhabe als Schutz vor straffälligem Verhalten?

Vorbeugend empfahl Böllert mehr Teilhabe von Kindern und Jugendlichen. “Die Erfahrung junger Menschen, mitbestimmen zu können, ist die beste Prävention gegen Kinder- und Jugendkriminalität.” Dazu gehöre die Möglichkeit, unter gerechten Bedingungen aufzuwachsen – “aber auch die Erfahrung, von Erwachsenen ernst genommen zu werden als Experte des eigenen Lebens.” – In Leipzig findet vom 13. bis 15. Mai der größte europäische Kinder-und Jugendhilfegipfel statt. Er steht unter dem Motto “Weil es ums Ganze geht – Demokratie durch Teilhabe verwirklichen”.