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Politik ist erschüttert: Missbrauchszahlen sind erschreckend

Die Missbrauchsfälle in der evangelischen Kirche schockierte auch die Politik. Ministerin Paus und Minister Buschmann fordern eine konsequente Aufarbeitung.

Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) hat von der evangelischen Kirche eine systematische institutionelle Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch gefordert. Die Ergebnisse einer bundesweiten Studie seien erschreckend, erklärte Paus auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) am Donnerstag in Berlin. Das Vertrauen der Betroffenen in die Institution der evangelischen Kirche sei durch einzelne Täter in abscheulicher Weise ausgenutzt worden. Auch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) äußerte sich besorgt.

Paus verwies zugleich auf das geplante Gesetz zur Stärkung des Amtes der Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Kerstin Claus. Sie sei zuversichtlich, dass der Entwurf aus ihrem Haus zeitnah im Bundestag beraten werden könne. Auf ein solches Gesetz hatten sich die Ampelfraktionen in ihrem Koalitionsvertrag verständigt. Es soll neben dem Amt der Beauftragten auch die bundesweite, unabhängige Aufarbeitungskommission stärken.

Laut der Studie gibt es viel mehr Missbrauchsopfer als erwartet: Danach wurden seit 1946 nach “spekulativen” Hochrechnungen mindestens 9.355 Kinder und Jugendliche in evangelischer Kirche und Diakonie sexuell missbraucht. Zudem gibt es 3.497 Beschuldigte, davon gut ein Drittel Pfarrer oder Vikare. Diese Zahlen errechnen sich nach Angaben der Forscher aus den offiziell zurückgemeldeten Ergebnissen der Landeskirchen, die aus deren Disziplinarakten erhoben wurden, und aus den Ergebnissen einer Landeskirche, die sowohl Personal- als auch Disziplinarakten ausgewertet hatte. Außerdem wurden Vergleichsstudien herangezogen.

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) verlangte von den Kirchen, sich für Aufarbeitung, Wiedergutmachung und bessere Prävention einzusetzen. “Es ist und bleibt erschütternd, dass gerade Kirchengemeinden jahrzehntelang Orte des vielfachen sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen waren”, erklärte Buschmann auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). “Die Kirchen haben hier bitterlich versagt.”

Weiter erklärte Buschmann, der selbst katholisch ist, das Strafrecht gelte für alle – “auch für Pfarrer, Pastoren und andere Mitglieder und Angestellte der Kirche”. Es gebe keine Privilegien und kein Sonderrecht für die Kirche.

Der religionspolitische Sprecher der SPD, Lars Carstelluci, betonte, die Studie zeige auch, dass Betroffene zu lange alleine gelassen worden seien. Er plädierte für eine deutschlandweite Dunkelfeldstudie und regelmäßige Erhebungen, um auch den Fortschritt von Präventionsstrategien messen zu können. Ähnlich äußerte sich die religionspolitische Sprecherin der Grünen, Lamya Kaddor. Zudem betonte sie, das Problem von sexualisierter Gewalt sei strukturell, “in den Kirchen und der gesamten Gesellschaft”. Deshalb liege es auch an Politik und Staat, strukturelle Antworten zu finden. Sie forderte die Landeskirchen zu einer kooperativen Mitarbeit auf, damit Betroffenen eine echte Aufarbeitung ermöglicht werden könne.