Von Uwe Czubatynski, Ute Eisenack, Hanna Löhmansröben und Werner Rossow
Die Wurzeln des Plattdeutschen – oder wie es auch heißt Niederdeutschen – liegen in der Zeit der Völkerwanderung, vor über 1600 Jahren. Sie gehen zurück auf das Altsächsische oder Altniederdeutsche. Es gehört mit Altenglisch und Altfriesisch zur nordseegermanischen Gruppe der indogermanischen Sprachen. Daraus entstand das Mittelniederdeutsch.Die Verbreitung der Sprache im Norden Deutschlands vollzog sich bis ins ausgehende Mittelalter hinein. Plattdeutsch war die Sprache der Hanse und entwickelte sich zur nordeuropäischen Verkehrs- und Schriftsprache und wurde dadurch Weltsprache. Denn wer als Kaufmann der „Niederdüdeschen Hanse“ zwischen Amsterdam, Norddeutschland, Skandinavien bis Nowgorod handeln wollte, verständigte sich ausschließlich auf Plattdeutsch. Sie war die erste deutsche Gemeinsprache überhaupt. Überliefert ist, dass selbst der mächtigste Mann des Hansebundes – ein damaliger Lübecker Bürgermeister – ausschließlich Plattdeutsch sprach. Jede seiner staatstragenden Reden, die auch in Dänemark, Schweden, Norwegen, England und Russland aufmerksam verfolgt wurden, heißt es, hielt er auf Platt. Die erste plattdeutsche Bibel wurde auch in Lübeck gedruckt, 1533 von Ludwig Dietz. Da sie noch ein halbes Jahr vor der in Wittenberg von Hans Luft gedruckten oberdeutschen, hochdeutschen Bibelübersetzung Martin Luthers auf den Markt kam, nannte man sie: „Ein Ei gelegt noch vor der Henne“ – „ovum ante gallinam natum“. Die Bugenhagen- oder Lübecker Bibel ist die erste Ausgabe einer Vollbibel vor Luthers Übersetzung überhaupt! Diese Bibel wurde somit die Grundlage für weitere Übertragungen im Ostseeraum.
Luthers Bibelübersetzung fordert Platt heraus
Martin Luther soll durch die Übersetzung der Bibel in das „Meißner Kanzleideutsch oder Kanzleisächsisch“ mit dafür verantwortlich sein, dass die plattdeutsche Sprache zurückging. Allerdings stimmt das nur bedingt. Denn: Im 16. Jahrhundert nahm die Bedeutung der Hanse rapide ab und bedingt dadurch begann der soziale Abstieg der plattdeutschen Sprache gegenüber dem Hochdeutschen. Sie blieb zwar wichtige Umgangssprache, doch sie war zu jener Zeit auch literarisch nicht mehr bedeutend. Es hatte sich daraufhin eine Art Amtssprache in verschiedenen deutschen Regionen durchgesetzt. Daraus entstand das Hochdeutsch, das wir heute sprechen. Die Bezeichnung „Plattdeutsch“ ist allerdings missverständlich, denn sie wird oft mit „platt, dümmlich und primitiv“ gleichgestellt. Dabei stammte sie ursprünglich von den Niederländern und ist mit „klar, ehrlich und offen“ oder „gerade heraus“ zu übersetzen.Mitte des 19. Jahrhunderts gab es eine kulturelle Renaissance des Plattdeutschen mit Schriftstellern wie Klaus Groth, Fritz Reuter und John Brinkmann, die eine neuere niederdeutsche Literatur begründeten. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts gibt es in Norddeutschland vielfältige Aktivitäten zu einer Neubelebung der Sprache im sozialen und kulturellen Leben. Sie ist eine eigene Sprache mit regionalen Dialekten und deren lokalen Ausprägungen. 1999 wurde Plattdeutsch als Regionalsprache anerkannt und in die Europäische Charta zum Schutz der Regional- oder Minderheitensprachen eingetragen (zusammen zum Beispiel mit Friesisch, Dänisch und Sorbisch). Die Charta wurde vom Land Brandenburg 1999 unterzeichnet. Doch erst 2018 wurden erstmals verbindliche Regelungen zur Förderung der geschützten Regionalsprache Niederdeutsch in Brandenburg getroffen.In der Uckermark, der West- und Ostprignitz, im Fläming oder im Havelland wird heutzutage das Plattdeutsch aktiv gepflegt. Anlässlich des Tages der Muttersprache am 21. Februar 2018 hat die Stadt Prenzlau die erste niederdeutsche Bahnhofsbeschilderung Prenzlau–Prentzlow enthüllt.Das in den Gottesdiensten in Quitzöbel in der Nähe von Bad Wilsnack verwendete Platt ist ein Dialekt, wie er heute noch in der Westprignitz gesprochen wird. Dazu werden von Uwe Czubatynski, Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft „Plattdüütsch in de Kirch“ der Landeskirche die biblischen Lesungen oder Psalmtexte selbst übersetzt oder aus dem Neuen Testament in mecklenburgischem Dialekt entnommen und den Prignitzer Gewohnheiten angepasst. Kenner*innen des Plattdeutschen wissen, dass es in jeder Region eigene Varianten gibt, die sich in der Aussprache und in speziellen Bezeichnungen unterscheiden. Nicht einmal für die Prignitz gibt es eine einheitliche Sprache: Während die nördlichen Gebiete die mecklenburgische Aussprache benutzen (er: hei), stimmen die elbnahen Gebiete sehr viel mehr mit dem altmärkischen Dialekt (er: he) überein. Diese feinen Unterschiede gehen freilich inzwischen verloren, da die Zahl der aktiven Sprecher*innen, zumindest im Land Brandenburg, rückläufig ist. Andere Bundesländer (Niedersachsen, Bremen, Schleswig-Holstein) sind bei der Pflege dieser altehrwürdigen Sprache wesentlich eifriger.
Plattdeutsch fördert neue Zugänge im GlaubenWer Plattdeutsch versteht, kann in plattdeutschen Gottesdiensten und durch plattdeutsche Gemeindearbeit für seinen Glauben neue Zugänge gewinnen. Neues Hören hilft, Verkrustungen aufzubrechen und neue Schritte zu gehen. Das ist eine der großen Chancen plattdeutscher Gemeindearbeit, und zwar für unbefangen Neugierige wie auch für Menschen, die mit der hochdeutschen Kirchensprache ihre Schwierigkeiten haben. Das Plattdeutsche kennt keine theologischen oder kirchlichen Fachworte. Die Predigt wird leichter verständlich. „Plattdüütsch geiht tau Hart!“ – Plattdeutsch geht zu Herzen. Jesus hat auch nicht Hebräisch, sondern Aramäisch, in der Sprache des Volkes, gesprochen.Auch wenn es in Wissenschaft und Wirtschaft heutzutage nicht mehr verwendet wird, stellt das Niederdeutsche doch einen enormen kulturellen Reichtum dar und braucht seinen natürlichen Platz in der gesellschaftlichen, wie kirchlichen Wahrnehmung.Ab Anfang der 1980er Jahre waren einzelne plattdeutsche Prediger in Brandenburg aktiv, so etwa Pfarrer Gottfried Winter in der Westprignitz und Pastor Dietrich Wegmann im Umland von Berlin und Berlin selbst. Im Oktober 2018 begründeten acht plattdeutsch Predigende die Arbeitsgemeinschaft „Plattdüütsch in de Kirch“ neu. In der Verkündigung knüpfen sie speziell dort an, wo es plattdeutsche Traditionen gibt: in der Uckermark oder im Fläming, von der Ost- und Westprignitz bis zum Oderland, aber auch in Berlin mit seinen Zuwander*innen aus allen norddeutschen Sprachgebieten. Von den Mitgliedern und Delegierten der einzelnen Landeskirchen in der „Plattform in de Kaark“ wird derzeit der Druck des neuen Perikopenbuches vorbereitet – selbstverständlich in Plattdeutsch.
Uwe Czubatynski (Quitzöbel), Ute Eisenack (Neuruppin), Hanna Löhmansröben (Potsdam)?und Werner Rossow (Berlin) sind Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Plattdüütsch in der EKBO.
Zum Weiterlesen:Heiko Gauert „Die Geschichte der plattdeutschen Sprache“, Quickborn-Verlag, Hamburg 2017, 80 Seiten, 7,80 Euro.
Kontakt zur Arbeitsgemeinschaft „Plattdüütsch in de Kirch“ der EKBOUte Eisenack, E-Mail: ute.eisenack@web.deWerner Rossow, E-Mail: werner.rossow@gmail.com
Sprache oder Dialekt?
Plattdeutsch ist eine selbstständige Sprache, also weder ein Dialekt noch eine Mundart. Sie ist eine Regionalsprache Deutschlands – und damit auch keine Minderheitensprache. Sie wird in weiten Teilen Deutschlands parallel zur Hochsprache gesprochen. Plattdeutsch wird in vielen unterschiedlichen Dialekten gesprochen, die sich von Dorf zu Dorf unterscheiden. Die Sprache ist gefährdet, weil die Weitergabe über die Familie kaum mehr erfolgt. In der Vergangenheit haben sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik Eltern ihre Kinder zunehmend angehalten, für den beruflichen Aufstieg in der Schule Hochdeutsch zu sprechen. 1999 wurde Plattdeutsch in die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen als „europäische Kultursprache“ aufgenommen. Acht Bundesländer haben über die Sprachencharta Pflichten zum Schutz der niederdeutschen Sprache übernommen. Seit 2002 ist der Bundesraat för Nedderdüütsch (BfN) die sprachpolitische Vertretung für alle Plattdeutschsprecher*innen in Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfahlen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt darauf, Plattdeutsch in der Gesellschaft zu verankern: in Bildungseinrichtungen, in Medien, im Sozial- und Kulturbereich sowie in Justiz und Verwaltung. 2007 forderte der BfN, dass Niederdeutsch als Pflichtfach in Schulen etabliert werden sollte. Einige Bundesländer setzen dies um. Beispielgebend ist hierbei Schleswig-Holstein. Im Land Brandenburg gibt es darüber hinaus Initiativen, das Plattdeutsche in Kitas und Schulen zu fördern, neuerdings auch in der Pflege. Zudem gewinnt der Einsatz der Regionalsprache in der Pflege („Platt in de Pleeg“) an Bedeutung. Demente Menschen, in ihrer erlernten Erstsprache angesprochen, können wieder Kontakte aufnehmen, halten und erstaunlicherweise kommunizieren. Plattdeutsch in der Ausbildung von Pflegepersonal hätte eine enorme Bedeutung, was aber derzeit noch auf Umsetzung wartet.