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Philosophin blickt mit “gemischten Gefühlen” auf Demonstrationen

Seit Wochen gehen Hunderttausende Menschen gegen Rechtsextremismus und die AfD auf die Straße. Eine Philosophin sieht das skeptisch – und mahnt zugleich, wachsam zu sein.

Die Philosophin Maria-Sibylla Lotter sieht die jüngsten Demonstrationen gegen Rechtsextremismus und die AfD nach eigenem Bekunden mit “gemischten Gefühlen”. Auf der einen Seite seien sie ein “wichtiges und nötiges” Signal der Solidarität, sagte die Professorin für Ethik an der Ruhr-Universität Bochum im Deutschlandfunk am Montag. Auf der anderen Seite habe Deutschland keine Rechtsregierung, die einen verfassungsmäßigen Umbau plane.

Wenn die AfD auf Bundesebene regieren würde, müsste man sogar an einen Generalstreik denken, sagte Lotter. Es handele sich jedoch um eine Oppositionspartei, die sie gleichwohl nicht für harmlos halte: “Es ist auf jeden Fall gut, wachsam zu sein.” Lotter warnte davor, Menschen, die rechts seien, pauschal als Feinde der Demokratie zu benennen. Denn in einer solchen Staatsform gebe es Rechte und Linke.

Die AfD wird vom Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft. Es gibt Landesverbände, die als gesichert rechtsextremistisch eingestuft werden, etwa Sachsen sowie Thüringen rund um Björn Höcke. In beiden Bundesländern wählen die Bürgerinnen und Bürger am 1. September eine neue Landesregierung. Die AfD hat derzeit jeweils hohe Zustimmungswerte. Hierzu sagte Lotter, dass es wichtig sei, dass der Verfassungsschutz dranbleibe.

Ein Anlass für die aktuellen Kundgebungen sind Recherchen des Netzwerks Correctiv zu einem Treffen Rechtsextremer im November in Potsdam, an dem unter anderen AfD-Mitglieder teilnahmen. Dabei sei es unter dem Schlagwort “Remigration” (Rückwanderung) um eine Strategie für eine massenhafte Umsiedlung von Migrantinnen und Migranten gegangen.

Lotter warnte vor Vergleichen mit der Wannsee-Konferenz, als sich am 20. Januar 1942 Vertreter von SS, NSDAP und einigen Reichsministerien getroffen hatten. Sie besprachen sich dabei zur “Endlösung der Judenfrage”. Anders als damals habe Deutschland keine NS-Regierung. Das Treffen jetzt in Potsdam sei eine private Veranstaltung auch des konservativen Milieus gewesen, in der es nicht um Ermordungspläne gegangen sei. Lotter sieht eine “sehr ärgerliche Verharmlosung” der Wannsee-Konferenz.

Die jüngsten Proteste richteten sich gegen eine Oppositionspartei. Sie würde es begrüßen, wenn es Demonstrationen für Solidarität mit Einwanderern sowie gegen Antisemitismus und Rassismus gebe, sagte Lotter. Sie plädierte dafür, die Ursachen von Unmut anzugehen und etwa über die Migrationspolitik zu diskutieren, die viele Menschen skeptisch mache.