Die Tierrechtlerin Hilal Sezgin wirft der Bundesregierung fehlenden politischen Willen für mehr Tierschutz vor. „Dass viele Versprechungen des Bundeslandwirtschaftsministeriums nur Lippenbekenntnisse sind, sieht man etwa an der geplanten Novelle des Tierschutzgesetzes. Die Entwürfe enthalten keine nennenswerten Verbesserungen, vieles klingt nur besser“, sagte die türkisch-deutsche Publizistin und Philosophin anlässlich des Erntedankfests (1. Oktober) dem Evangelischen Pressedienst (epd). Sezgin ist Autorin mehrerer Bücher über Tierrechte und Veganismus. In der Lüneburger Heide betreibt sie einen Lebenshof für gerettete Nutztiere.
Auch die Auflösung der Borchert-Kommission im August werfe kein gutes Licht auf die Tierschutz-Politik der Ampel-Regierung, kritisierte Sezgin. Das „Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung“ mit Vertretern aus Landwirtschaft, Handel, Tierschutz und Wissenschaft war 2019 von der Bundesregierung eingesetzt worden, um Vorschläge für den Umbau der Tierhaltung zu erarbeiten. Am 22. August hatte die Kommission ihre Arbeit niedergelegt. Grund dafür seien die fehlende Ausgestaltung laufender Tierwohlprämien und eine nicht ausreichende Finanzausstattung für den Umbau, heißt es in einer Stellungnahme.
Auf mangelnden Ehrgeiz in Sachen Tierschutz deutet nach Sezgins Auffassung auch das für 2028 geplante Verbot der ganzjährigen Anbindehaltung von Rindern. „Das klingt erstmal gut – Doch saisonal wird die Anbindehaltung weiterhin erlaubt sein. Die Kühe können sich also manchmal an der frischen Luft bewegen, werden anschließend aber fixiert.“
Tiere seien fühlende Wesen, betonte Sezgin. Früher sei die Annahme verbreitet gewesen, dass Tiere dumm seien oder weniger fühlen als Menschen. „Der Blick darauf hat sich verändert, sowohl in Biologie, Philosophie als auch in der Gesellschaft“, sagte Sezgin. Die Gesellschaft müsse beim Umgang mit Tieren daher grundlegend umdenken.
Noch immer dominiere die Vorstellung, dass alles Leben auf der Erde dem Menschen gehöre, sagte die Philosophin. Im Koran und der Bibel gebe es Stellen, die diese Weltsicht bekräftigen, etwa der göttliche Auftrag „füllet die Erde und machet sie euch untertan“ (Genesis 1,28). „Dabei essen die ersten Menschen der Bibel gar kein Fleisch“, sagte Sezgin. Erst nach Noah und der Sintflut erlaube Gott den Menschen, sich von Tieren zu ernähren. „Eine Gesellschaft, die Tiere ausbeutet, beruft sich auf Stellen, die dazu passen, und überliest die kritischen.“