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Pädagogin mit starker Botschaft

Sie ist eine Pädagogin durch und durch – Gudrun Pausewang arbeitete bis zu ihrer Pensionierung als Lehrerin. Aber sie schrieb auch weit über 90, teils preisgekrönte Bücher, die nicht nur junge Menschen bewegten. Am 3. März wird die Autorin 90 Jahre alt

© epd-bild / Daniel Peter

Die Verführung durch den Nationalsozialismus, die Friedens- und Um-weltbewegung und lange Jahre in Südamerika haben die Schriftstellerin Gudrun Pausewang geprägt. Mehr als 90 Bücher für alle Altersgruppen hat sie bislang geschrieben. Ihre größten Erfolge hatte sie aber mit Werken für Kinder und Jugendliche; zuletzt erschien 2016 „So war es, als ich klein war: Erinnerungen an meine Kindheit“. Am 3. März wird die Autorin 90 Jahre alt.
Ihre Kindheit verlebte sie in Wichstadtl in Ostböhmen. Hier wurde Gudrun Wilcke, wie sie eigentlich heißt, am 3. März 1928 geboren und wuchs mit fünf jüngeren Geschwistern auf. Ihre Eltern lebten dort autark und blieben Außenseiter im Dorf. Gleichzeitig waren sie überzeugte Nationalsozialisten. Bei der Annektion des Sudetenlandes war Gudrun zehn Jahre alt und fortan ein begeistertes Jungmädel.

Sozialkritische und zeitpolitische Themen

Der Schock kam später, als sie nach dem Tod des Vaters und der Flucht nach Westdeutschland erkannte, wie verbrecherisch der Nationalsozialismus war. Ihre Kindheit und Jugend verarbeitete sie in der „Rosinkawiesentrilogie“, den Holocaust thematisierte sie in Jugendbüchern wie „Reise im August“.
Die Familie zog nach Wiesbaden, Gudrun machte Abitur und wurde Volksschullehrerin. Aber es hielt sie nicht lange in Hessen. Ihr Leben im Nachkriegsdeutschland hatte sie als „Ghetto-Dasein“ empfunden. Südamerika hatte sie schon als Jugendliche fasziniert, und so ging sie 1956 für sieben Jahre als Lehrerin nach Südchile und Venezuela. Ihre Ferien nutzte sie zu Reisen quer über den Kontinent und kam in vielfäl-tigen Kontakt mit der ärmeren Bevölkerung.
Zurück in Deutschland hatte sie Mühe, sich wieder einzuleben – zu sehr unterschied sich die deutsche von der lateinamerikanischen Mentalität. In dieser Zeit lernte sie das demokratische Staatssystem schätzen und fand ihren politischen Standpunkt „links von der Mitte“. 1968 ging sie für weitere fünf Jahre nach Südamerika, diesmal mit ihrem Ehemann, einem Deutsch-Chilenen.
Nach ihrer endgültigen Rückkehr nach Deutschland zerbrach die Ehe. Gudrun Pausewang zog mit Sohn Martin zu ihrer Mutter nach Hessen. Hier unterrichtete sie bis zu ihrer Pensionierung 1989 an einer Grundschule. Noch mit 70 Jahren promovierte sie über „Vergessene Jugendschriftsteller der Erich-Kästner-Generation“.

Vorwurf, sie schüre Ängste, begleitet sie bis heute

Pausewangs Themenspektrum ist groß: Lustige Kinderbücher wie die Abenteuer des Räubers Grapsch gehören dazu, sind aber eher die Ausnahme. Es sind vor allem sozialkritische und zeitpolitische Themen, mit denen sie bekannt wurde. Die Pazifistin schrieb Romane gegen den Krieg, engagierte sich in der Umweltbewegung und kämpfte gegen die Atomindustrie. Die Gefahr des Nationalsozialismus ist für sie bis heute präsent, als literarisches Thema und in Gesprächen mit Schülern auf ihren zahlreichen Lesereisen. Das Elend der Menschen in Südamerika beschrieb sie in Jugendbüchern wie „Die Not der Familie Caldera“ oder „Der Streik der Dienstmädchen“.
„Die letzten Kinder von Schewenborn“ (1983) und vor allem „Die Wolke“ (1987) sind wohl ihre bekanntesten Romane. Sie wollte mit ihnen vor realen Gefahren warnen und traf dabei den Nerv – nicht nur den der Anti-Atom-Bewegung, die nach der Tschernobyl-Katastrophe 1986 einen vorläufigen Höhepunkt fand. „Die Wolke“ thematisiert die Folgen eines Reaktor-Unfalls am Beispiel der 14-jährigen Janna-Berta. Im Roman kommt Janna-Berta aus Schlitz, dem Wohnort von Gudrun Pausewang.
Dass ihre Anti-Atom-Romane mitten in Deutschland spielen, erhöht den Schockeffekt. „Die Wolke“ wurde mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet – eine heftig umstrittene Entscheidung, kritisierte das Buch doch die Atompolitik der damaligen Regierung.
„Die letzten Kinder von Schewenborn“ und „Die Wolke“ sind seit mehr als zwanzig Jahren Schullektüre und haben vermutlich dazu beigetragen, die Anti-Atom-Stimmung im Land zu verstärken. Pausewang erntete allerdings auch heftige Kritik. Selbst Erwachsenen bereiten ihre sehr realistischen Szenarien mitunter schlaflose Nächte. Der Vorwurf, sie schüre bewusst Ängste, begleitet sie deshalb bis heute.
Die Autorin steht zu ihrer Haltung und begründet sie mit ihrer eigenen Biographie. In einem „Spiegel“-Interview sagte sie 2011: „Ich glaubte an Hitler und seine Botschaft bis zuletzt. Erst Jahre nach dem Krieg begriff ich langsam, dass es nicht genügt, sich alle vier Jahre an der Wahlurne fragen zu lassen: Wie hätten Sie‘s denn politisch gerne? Sondern, dass man sich als Bürger eines einigermaßen funktionierenden demokratischen Systems ständig mitverantwortlich für die Politik seines Landes und damit auch für das Wohlergehen seiner Mitbürger zu fühlen hat.“ Sie jedenfalls wolle sich von ihren Enkeln nicht fragen lassen, warum sie nichts getan hätte. Sie wolle ihnen sagen: „Im Rahmen meiner bescheidenen Möglichkeiten habe ich versucht, etwas gegen die Gefahren unserer Zeit zu tun!“