Eine Folge des Ampel-Bruchs ist, dass es in dieser Legislaturperiode keinen Armutsbericht der Regierung geben wird. Nun legt die Diakonie einen Schattenbericht über die Situation armer Menschen vor.
Der Berliner Ökonom Marcel Fratzscher hat mehr Maßnahmen zur Bekämpfung von Armut gefordert. Es wäre ein großer gesellschaftlicher Gewinn, wenn es weniger arme Menschen gebe, sagte Fratzscher am Montag in Berlin. Wirtschaftlich gesehen bedeute diese Gruppe bei etwa 1,7 Millionen offenen Stellen ein “riesiges Potenzial”, das es zu heben gelte. Fratzscher äußerte sich bei der Vorstellung eines Schattenberichts zur Situation armer Menschen von Diakonie und Nationaler Armutskonferenz.
Nach dem Bericht sind in Deutschland 17,7 Millionen Menschen von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht, also rund ein Fünftel der Bevölkerung. Jede siebte Person (14,5 Prozent) sei einkommensarm und verfüge über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens. 6,9 Prozent der Bevölkerung oder 5,7 Millionen Menschen in Deutschland seien im Jahr 2022 von erheblicher materieller und sozialer Entbehrung betroffen gewesen.
Als armutsgefährdet gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat. Der Schattenbericht wird in regelmäßigen Abständen als unabhängiges Pendant zum Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung verfasst, erstmals 2012. Wegen des Ampel-Bruchs gibt es in dieser Legislaturperiode keinen entsprechenden Bericht der Bundesregierung.
Fratzscher mahnte einen sachlichen Dialog statt eines “Sozialstaat-Populismus” an. Ziel müsse es sein, mehr Menschen in Arbeit zu bringen. Dazu sei es wichtig, dafür zu sorgen, dass durch eine verbesserte Ganztagsbetreuung alle Kinder und Jugendliche gute Bildungschancen erhielten. Verpasste Bildungschancen seien in späteren Jahren kaum aufzuholen, so Fratzscher. Zudem forderte er einen leichteren Zugang zu Hilfeleistungen wie etwa dem Kinderzuschlag. Bei den Kinderfreibeträgen müsse es eine Umgestaltung zugunsten ärmerer Familien geben.
Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch betonte, das oft verbreitete Bild vom “faulen Arbeitslosen” werde der Realität nicht gerecht. Die meisten Arbeitslosen wünschten sich nichts sehnlicher, als eine sinnvolle Beschäftigung zu erhalten und dadurch stärker am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Nach wie vor sei das Armutsrisiko für Alleinerziehende, Familien mit vielen Kindern, Menschen mit gesundheitlichen Problemen sowie für geflüchtete Menschen am größten.