Der Maler und Bildhauer Mikhail Reva hat die ukrainische Hafenstadt Odessa geprägt. Trotz russischer Drohnen und Raketen behält er dort sein Atelier. Doch nach drei Jahren Krieg ist der Wunsch nach Frieden groß.
Noch bis Ende März ist im Kulturzentrum “Union” im Herzen von Odessa die Ausstellung “Tagebücher der Zeiten” zu sehen. Darin zeigt Mikhail Reva, der bekannteste Bildhauer der Ukraine, Werke, die er nach dem russischen Angriff im Februar 2022 angefertigt hat. Reva (65), geboren in der Hafenstadt Kertsch auf der Krim und ausgebildet an Kunstakademien in Sankt Petersburg und Rom, kannte kriegerische Gewalt schon aus anderen Zusammenhängen: 2001 war er in New York Zeuge des Terroranschlages vom 11. September. Dies beeinflusste sein weiteres Schaffen.
Der damalige ukrainische Präsident Leonid Kutschma persönlich weihte 2005 in Kiew Revas Denkmal für die Opfer des Terrors in aller Welt ein: ein sieben Meter hohes Herz aus Gusseisen, das in zwei Hälften zerbrochen ist. Auf einer der Hälften ist in 70 Sprachen das Gebot “Du sollst nicht töten!” eingraviert.
Ironie des Schicksals: 2002 fertigte Reva im Auftrag der ukrainischen Regierung eine Sonnenuhr aus Silber für den russischen Präsidenten Wladimir Putin an. Ein weiteres bedeutendes Werk Revas ist das “Domus Solis”, das Sonnenhaus, am Strand von Lanscheron vor den Toren Odessas. Fragmente einer 200 Jahre alten Tür weisen im Sand symbolisch den Weg zur Sonne. Auch das wohl berühmteste Denkmal Odessas, der Stuhl in der Fußgängerzone, der an den heiteren Roman “Die zwölf Stühle” erinnert, der in der Hafenstadt spielt, stammt von ihm. Weitere Werke finden sich an vielen Orten der Stadt.
Doch seit dem 24. Februar 2022 schafft Reva keine heiteren Werke mehr. Der Odessit kennt das Geheul der Sirenen, das dumpfe Dröhnen einer einschlagenden Rakete oder Drohne. Er kennt Menschen, die Väter, Söhne oder Brüder im Krieg verloren haben. Seine Kunst nimmt das auf – aus Militärschrott entstanden neue Skulpturen wie ein riesiger russischer Bär. “Ich möchte mit meinen Werken erreichen, dass auch Menschen außerhalb der Ukraine nachempfinden können, was wir hier im Krieg erleben und fühlen”, sagt der Künstler der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Gezeigt wurden seine Werke bereits in Berlin, Barcelona, Paris oder Rom. Gerne erklärt er dem Besucher eines seiner Gemälde. Es zeigt zerstörte Häuser, einen großen Krater – und mitten darin eine kleine Gestalt in gelber Jacke. “Der Mann mit der gelben Jacke steht für viele. Er hatte sicherlich Träume, von einem Haus, einer Familie, einem glücklichen Leben. Und in einem einzigen Moment ist alles zerstört.”
Revas Atelier liegt im Zentrum von Odessa. Das Erste, was dem Besucher ins Auge fällt, ist eine Skulptur, die aus der Ferne an einen Lebensbaum erinnert. Bei näherer Betrachtung jedoch offenbart sich ihr wahrer Kern: rostige eiserne Nägel, die eine menschliche Silhouette formen. Es ist das “Gedenken an die Gekreuzigten”. Die Idee, so Reva, sei ihm bei einem Besuch in Butscha gekommen, dem Ort eines Massakers an Zivilisten im anhaltenden Ukraine-Krieg. Dort soll nun eine Gedenkstätte entstehen. Teil der Stätte soll ein künstlicher See sein, in dessen Wasser sich diese Silhouette spiegelt. In Odessa, das viele als die ukrainische “Hauptstadt der Kultur” sehen, finden derweil – auch jetzt im Krieg – Ausstellungen statt, treten bekannte Künstler in der Philharmonie auf.
Gleichwohl, das Leben in Odessa ist oft härter als in Kiew. Mindestens einmal pro Woche schlagen russische Drohnen oder Raketen ein, oft mit tödlichen Folgen. Die sozialen Härten sind besonders spürbar: Ein Kilo Tomaten oder Gurken kostet umgerechnet drei bis vier Euro, ein Apfel 40 Cent, ein Kilo Kartoffeln einen Euro, ein Liter Milch 1,50 Euro – bei einem Durchschnittslohn von 500 Euro und Renten von nur etwa 100 Euro pro Monat.