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NS-Raubkunst: Wurden jüdische Nachfahren von Staatsmuseen getäuscht?

Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen sollen in zahlreichen Fällen die Erben von NS-Raubkunst in ihrem Bestand nicht informiert haben. Wie die „Süddeutsche Zeitung“ (Donnerstag) berichtet, soll den Staatsgemäldesammlungen – zu denen die weltbekannten Pinakotheken in München gehören – die Provenienz dieser von den Nationalsozialisten geraubten Kunstwerke intern lange bekannt sein. Die Zeitung stützt sich dabei auf einen 900-seitigen Auszug einer internen Datenbank, der Berichte zu rund 200 möglichen NS-Raubkunstwerken enthält.

Diese rund 200 Kunstwerke werden nach der „Provenienzampel“ als „rot“ klassifiziert, schreibt die „Süddeutsche“. Das heißt, dass es sich mit Sicherheit oder hoher Wahrscheinlichkeit um NS-Raubkunst handelt. Acht dieser „rot“ eingestuften Werke stammen aus der Sammlung des jüdischen Kunsthändlers Alfred Flechtheim. Dessen Erben fordern die Werke seit Jahren zurück, die Staatsgemäldesammlungen hatten bislang betont, die Werke befänden sich rechtmäßig in ihrem Besitz. Unter den Kunstwerken sind sechs Beckmann-Gemälde, eines von Klee sowie eine Picasso-Büste.

Das der „Süddeutschen“ vorliegende Dokument beweise, dass die Provenienzforscher der Staatsgemäldesammlungen schon vor Jahren auf Hinweise gestoßen seien, die den NS-Raubkunstverdacht erhärtet hatten. Diese Informationen seien aber nie an die Flechtheim-Erben weitergeleitet worden. Dazu aber wären die Museen verpflichtet gewesen. Viele der 200 als „rot“ markierten Kunstwerke seien entweder gar nicht, oder ohne den Hinweis auf Raubkunstverdacht in die Raubkunst-Datenbank „Lostart“ eingestellt worden, in der Nachfahren jüdischer Besitzer recherchieren können.

Flechtheim-Erbe Michael Hulton zeigte sich angesichts der Recherchen der „Süddeutschen Zeitung“ erschüttert: „Die Nazis haben meinen Großonkel Alfred Flechtheim entrechtet, enteignet und vertrieben, sie haben sein Leben zerstört.“ Der Freistaat Bayern habe „uns jahrelang belogen und versucht, das historische Unrecht zu vertuschen“, um die Werke behalten zu können. Die Erben-Anwälte Mel Urbach und Markus Stötzel sagten, Bayern habe gegen die Washingtoner Prinzipien von 1998 verstoßen. Das NS-Unrecht werde dadurch „auch mehr als 80 Jahre später aufrechterhalten“.

Die beiden Anwälte fordern eine „umgehende Offenlegung“ aller bekannten Raubkunstfälle in Bayern. „Jetzt muss alles auf den Tisch“, die Zeit der Ausreden sei vorbei. Man werde im Sinne der Erben alle rechtlichen und politischen Möglichkeiten ausschöpfen, um „die Verantwortlichen in Bayern zu rechtmäßigem Verhalten zu zwingen“. (0620/20.02.2025)