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„Noch Luft nach oben“

In Sachen Transparenz gibt es bei den TTIP-Verhandlungen zwischen den USA und der EU noch Defizite, meint der EKD-Bevollmächtigte Martin Dutzmann. Er rät zur Wachsamkeit

Eisenhans - Fotolia

So groß waren die Bedenken der Bürger gegenüber dem geplanten EU-US-Freihandelsabkommen TTIP, dass Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) im Mai 2014 einen TTIP-Beirat ins Leben rief. In dem Gremium sitzen Verbraucher- und Umweltschützer, Kirchen-, Gewerkschafts- und Wirtschaftsvertreter. Was hat diese Maßnahme  bisher gebracht? Und wo besteht noch Gesprächsbedarf? Darüber hat Isabel Guzmán mit Martin Dutzmann, dem Ratsbevollmächtigten der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), gesprochen.

Die seit 2013 laufenden TTIP-Verhandlungen werden immer wieder wegen ihrer Intransparenz kritisiert. Wie ergeht es da dem TTIP-Beirat? Wie sind die Informationsflüsse zwischen der EU-Kommission, der Bundesregierung und Ihnen?
In Sachen Transparenz ist unter der neuen EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström einiges passiert. Es gibt mehr Möglichkeiten, Dokumente einzusehen und an Informationen zu kommen. Im Beirat selber beschäftigen wir uns in jeder Sitzung mit einem bestimmten Aspekt von TTIP. Ein Experte der EU-Kommission aus dem jeweiligen Bereich berichtet über den Stand der Verhandlungen. Insofern sind wir da schon halbwegs gut informiert. Trotzdem bleibt es dabei, dass vieles noch unklar ist.

Was zum Beispiel?
Das TTIP-Abkommen ist ein Dokument im Werden. Nehmen wir das Beispiel Daseinsvorsorge, also die Grundversorgung mit Wasser, Strom oder Krankenhäusern. Es heißt, dass es keine substanziellen Änderungen gegenüber bisherigem EU-Recht geben soll. Sicher kann man aber erst sein, wenn man die Regelung im Wortlaut vor sich sieht. Das werden wir natürlich weiter beobachten. Zudem ist es im Moment nicht möglich, bestimmte Folgen zuverlässig abzuschätzen, etwa für Entwicklungsländer. TTIP würde einen riesigen Handelsraum zwischen EU und USA schaffen – was würde das für die Wirtschafts- und Handelschancen südlicher Länder bedeuten?

Inwieweit werden Ihnen im TTIP-Beirat und der Öffentlichkeit Dinge vorenthalten, die in Wirklichkeit schon feststehen?
Ich vermag das schwer einzuschätzen. Ich glaube, es gibt bei solchen Verhandlungen tatsächlich auch Dinge, die man in einem bestimmten Stadium nicht öffentlich machen kann, weil man dann nicht mehr verhandeln kann. Man muss bestimmte Dinge – das weiß ich aus eigener Erfahrung auch – hinter verschlossenen Türen denken und überlegen können. Es würde ja sofort Zugzwang entstehen, wenn man mit etwas in die Öffentlichkeit geht. Trotzdem hat Frau Malmström ja gezeigt, dass mehr Transparenz möglich ist. Von daher könnte da noch Luft nach oben sein.
n Seitens der EU-Kommission oder auch seitens der Bundesregierung?
Seitens der EU-Kommission. Ich glaube, dass die deutsche Bundesregierung auch gerne noch mehr wüsste. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass sie unterinformiert ist.

Im TTIP-Beirat sitzen ja sehr unterschiedliche Interessenvertreter, vom Bundesverband der Deutschen Industrie über Gewerkschaften bis hin zu Transparency International und dem Deutschen Kulturrat. Kommen Sie da alle auf einen Nenner?
Nein (lacht). Das ist auch gar nicht das Ziel. Die Bundesregierung will mit unterschiedlichen Interessenvertretern reden, um Einwände gegen den jeweiligen Zustand der Verhandlungen formulieren zu können. Wir als Kirchen konzentrieren uns vor allem auf den Aspekt Entwicklungspolitik, die Auswirkungen auf die Schwächsten der Schwachen. Andere Verbände arbeiten an Themen, die uns ebenfalls interessieren: Kultur, Umweltschutz, Verbraucherschutz, Arbeitnehmerrechte.

Wie sind die Teilnehmer ausgewählt worden?
Das müssen Sie den Minister fragen. Seitens der Kirchen wurden der EKD-Ratsvorsitzende und der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz eingeladen. Die beiden Prälaten sind als ständige Stellvertreter dabei. Die Vorsitzenden schaffen es zeitlich nicht, immer selbst dabei zu sein. Andere lassen sich selbstverständlich auch vertreten.

Wenn es Streit im Beirat gibt – wo verlaufen da die Fronten? Gibt es so etwas wie klare Lager?
Das ist von Thema zu Thema verschieden. Wenn es um die Arbeitnehmerrechte geht, ist es klar, dass der DGB eine andere Meinung hat als der BDI. Aber das ist erwartbar und auch richtig und gut so. Der Beirat lebt auch davon, dass die Mitglieder ihre Rollen gut spielen. Und man tatsächlich miteinander schauen kann, wo die entscheidenden Fragen, die entscheidenden Probleme liegen. Von daher ist es wichtig, durchaus auch den Dissens zu inszenieren.

Haben Sie den Eindruck, Ihr Einsatz im TTIP-Beirat hat bisher etwas gebracht?
Wir sehen es im Moment als unsere Hauptaufgabe, bohrende Fragen zu stellen. Für detaillierte Stellungnahmen ist es aus Sicht der Kirchen noch zu früh, zu vieles ist noch im Fluss. Ich glaube aber nicht, dass wir nur zum Schmuck in dem Beirat sitzen. Die Kirchen haben sich schon in den politischen Prozess eingebracht – der Berichterstatter des Europaparlaments zum Beispiel hat einige unserer grundsätzlichen Forderungen zu TTIP übernommen.
Allerdings meinen wir, dass die Länder des Südens stärker einbezogen werden müssen. Es wird ja immer gesagt, TTIP solle Standards, sogar „Goldstandards“, für den Rest der Welt kreieren. Vordergründig leuchtet das ein. Aber aus entwicklungspolitischer Perspektive ist das ein ziemlich steiler Satz. Wir setzen die Standards für den Rest der Welt? Das haben wir schon öfters mal probiert. Es war nie legitim und ist oft genug daneben-gegangen.

Halten Sie es für vorstellbar, dass es ein TTIP geben wird, mit dem die Kirche leben kann oder sogar zufrieden ist?
Für vorstellbar halte ich ganz vieles. Die EKD-Synode hat sich nicht grundsätzlich gegen TTIP positioniert. Wir sehen durchaus die Möglichkeiten, die in einem Freihandelsabkommen stecken. Auch was Wohlfahrtsgewinne angeht. Es ist ja gut, wenn Völker sich nicht bekriegen, sondern Abkommen schließen und Handel betreiben. Das ist zunächst mal im Grundsatz etwas Friedensstiftendes. Von daher geht es uns als EKD nicht um das „Dass“ eines solchen Abkommens, sondern um das „Wie“. Es ist ein besonderes Abkommen, schon von der schieren Größe her, und wir versuchen, das so gut wie möglich zu begleiten und zu beeinflussen.

Die Verhandlungen laufen schleppender, als EU und USA es erwartet hatten. Wann, denken Sie, gibt es ein Ergebnis?
Keiner kennt den Zeitplan wirklich. Geplant ist, das Abkommen bis Ende 2015 unter Dach und Fach zu bringen. Da spricht manches dafür und vieles dagegen. Insofern müssen wir zunächst einmal damit rechnen, dass es gelingt. Und wachsam sein und uns nicht darauf verlassen, dass es sowieso erst 2016 wird.