Sachsen-Anhalts Beauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Birgit Neumann-Becker, fordert schnellere Hilfen für Menschen, die in der DDR Unrecht erlitten haben. Bei der Vorstellung ihres Tätigkeitsberichts für das Jahr 2023 sagte Neumann-Becker am Dienstag in Magdeburg, bisher seien rund 1.300 Anträge auf Anerkennung gesundheitlicher Folgeschäden nach erlittenem Unrecht gestellt worden. Davon seien bisher nur rund 250 bewilligt worden.
Obwohl der Bundestag bereits 2019 der Bundesregierung einen Prüfauftrag erteilt habe, sei keine Verbesserung eingetreten, sagte Neumann-Becker. Sie unterstütze daher die Forderung der SED-Opferbeauftragten beim Deutschen Bundestag zur Einführung einer Vermutungsregelung. Diese würde die Verfahren erheblich erleichtern.
Nach den Erkenntnissen der Medizin und der zeitgeschichtlichen Forschung seien die Ziele und Härten des Strafvollzugs in der Sowjetischen Besatzungszone (1945-1949) und der DDR (1949-1990) bekannt. Die verweigerte Anerkennung des Unrechts erlebten Betroffene daher zurecht als Affront, sagte Neumann-Becker.
Die Zahl der persönlichen und telefonischen Beratungen in ihrer Behörde sei mit rund 2.700 auch im vergangenen Jahr stabil geblieben, sagte Neumann-Becker. Auch die Zahl der Anträge auf Akteneinsicht sei nach einem Rückgang während der Corona-Zeit wieder auf rund 3.150 angestiegen.
Die Aufarbeitungsbeauftragte lobte zudem den Härtefallfonds, den das Land Sachsen-Anhalt für SED-Opfer eingerichtet hatte. Damit habe man im vergangenen Jahr zwölf Betroffenen in finanziellen Notlagen helfen können. Gerade SED-Opfer befänden sich oft in einer wirtschaftlich prekären Lage, da sie gesundheitlich geschädigt oder traumatisiert seien. Anderen sei der angestrebte Bildungsweg versagt worden.
Allerdings hätten im vergangenen Jahr 23 Anträge nicht berücksichtigt werden können. Daher begrüßte es Neumann-Becker, dass der Fonds nun im zweiten Jahr zur Verfügung stehe und von 50.000 auf 100.000 Euro verdoppelt worden sei.
Weitere Schwerpunkte der Arbeit der Aufarbeitungsbeauftragten seien Bildung und Forschung. So hätten im vergangenen Jahr Veranstaltungen an rund 20 Schulen stattgefunden, darunter Zeitzeugengespräche oder Sensibilisierung für Demokratie- und Freiheitsrechte. Neumann-Becker verwies zudem auf ein Forschungsprojekt zu gesundheitlichen Folgeschäden der SED-Diktatur an Universitäten in Magdeburg, Jena, Rostock und Leipzig. Zudem sei in Magdeburg ein „Zeitzeugenclub“ entstanden.
Vergleiche der Bundesrepublik mit der DDR-Diktatur lehnte Neumann-Becker ab. Allerdings gebe es ein unterschwelliges Gefühl, dass der Meinungskorridor immer enger werde, sagte sie. Gerade in Ostdeutschland würden sprachliche Verengungen mit großer Sensibilität und Abwehr wahrgenommen. Neumann-Becker scheidet Anfang April nach elf Jahren aus dem Amt. Ihr Nachfolger wird Johannes Beleites.
Landtagspräsident Gunnar Schellenberger (CDU) nahm den letzten Jahresbericht Neumann-Beckers entgegen. Er dankte ihr für die gute Zusammenarbeit und betonte, die Aufarbeitung des DDR-Unrechts dürfe auf keinen Fall als abgeschlossen betrachtet werden.