Keine andere deutsche Region vereint auf engstem Raum so viele Klöster wie der Osten Westfalens. Im Kulturland Kreis Höxter zeugen mehr als zwei Dutzend Kirchenbauten von der einstigen Kraft des Glaubens. Fast alle dienen auch heute noch christlichen Kirchen und Glaubensgemeinschaften. Und manche der Jahrhunderte alten Klosteranlagen beherbergen noch immer Ordensschwestern und -brüder. Andere Bauten werden als Hotel genutzt, als Erholungs-und Bildungsstätten, in denen man den Geist auffrischen und die Seele baumeln lassen kann. Inzwischen registriert die westfälische Klosterlandschaft jährlich mehr als eine Million Übernachtungen.
Viktor Metternich-Sándor, der Fürst von Corvey und Herzog von Ratibor, empfängt Besucher vor der Kirche der ehemaligen Reichsabtei Corvey. „Seine Durchlaucht“ sprechen ihn seine Mitarbeiter an, wohl wissend, dass sie dem Hausherrn so ein bisschen schmeicheln. „Corvey 1“ heißt seine Postadresse, hinter der sich ein barocker Schlosspalast verbirgt. „21 000 Quadratmeter umbauter Raum, dazu 4 Hektar Dachfläche und 600 Fenster“, rechnet der Schlossherr vor. Seit Juni 2014 gehört die Anlage zum Weltkulturerbe. Corvey gilt als eine der bedeutendsten Klostergründungen des Mittelalters.
Corveys Prachtstück aber, die Kirche mit dem einmaligen Westwerk, gehört schon längst nicht mehr der Fürstenfamilie. Viktors Vater hatte sie 1977 dem Bistum Paderborn vermacht, das heute seine schützende Hand über die Jahrhunderte alten Mauern hält. „Die Westfassade ist Corveys Gesicht“, schwärmt der Gästeführer. „Corvey sollte das Zentrum für die Christianisierung des Osten werden.“ Den Boden dafür bereitete Karl der Große, der Ende des 8. Jahrhunderts in jene Region vorgedrungen war, in der heute die Bundesländer Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen aneinanderstoßen. In mehreren Schlachten unterwarf er die heidnischen Sachsen und sicherte so die Übergänge an der Weser.
Die Gründung Corveys geht auf Karl den Großen zurück
Zur Demonstration seiner Macht schwebte Karl dem Großen ein gewaltiges Kloster vor, in dem nicht mehr – wie bei den Sachsen – viele Götter zur Anbetung standen, sondern nur noch der eine christliche Gott. Realisiert wurden Karls Ideen erst nach seinem Tod. Benediktiner füllten das Kloster Corvey mit Leben, das im Lauf der Zeit zum wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum Norddeutschlands reifte. Nach der Säkularisation ging die Klosteranlage nach mehreren Herrschaftswechseln schließlich in den Besitz der heutigen Fürstenfamilie über.
Corveys Kraft ist überall in der Region spürbar. Auch in der Abtei Marienmünster, knapp 15 Autominuten weiter nordwestlich. Zwölf Mönche aus Corvey bezogen hier im frühen 12. Jahrhundert die Klosteranlage, die heute Konzerte, Theater und Ausstellungen bereichern. Eine Kulturstiftung hat die alten Scheunen und Ställe neu belebt. Der sogenannte Klangsaal gilt als akustisches Vorzeigeobjekt, der an jedem dritten Tag im Jahr zu Tonaufnahmen genutzt wird. „Kloster der Klänge“ nennt sich Marienmünster deshalb selbstbewusst. Ein Ohrenschmaus ist auch die aus dem Jahr 1738 stammende Orgel in der barocken Abteikirche, die als eine der am besten erhaltenen Barockorgeln Deutschlands gilt.
Mittelalterliche Wurzeln hat auch das Kloster Hardehausen am östlichen Rand des Eggegebirges, eine Jugendbildungs- und Begegnungsstätte des Erzbistums Paderborn. „Die Tür steht offen, mehr noch das Herz“. „Porta patet, cor magis“ hieß das bei den Zisterziensern, die hier ihre erste Niederlassung in Westfalen gegründet hatten. Heute ist die Landvolkshochschule auf dem Gelände zuhause. Der „gesamtmenschlichen Erziehung“ hat sie sich verschrieben, wie es Monsignore Uwe Wischkony formuliert. „Wir stehen allen Religionen offen. Wir säen aus, Gott sorgt dann fürs Wachstum.“
Jüngste Attraktion in Hardehausen ist der neu angelegte „Schöpfungspfad“: eine kleine Erlebnisroute, die mittels sieben Stationen Besuchern die Schöpfungsgeschichte näherbringt. So wie die Erschaffung des Menschen am sechsten Tag, den Gott nach „seinem Bild“ erschaffen hat. Ein Spiegel bringt diese Botschaft heute dem Betrachter näher, macht ihm klar, dass jeder ein Geschöpf Gottes ist, dem die Fähigkeiten mitgegeben sind, selbst etwas zu erschaffen. Auf dem Jugendbauernhof nebenan lernen Burschen und Mädchen den Umgang mit Schweinen, Hühnern, Kühen und Ziegen.
Im Benediktinerinnenkloster vom Heiligen Kreuz in Herstelle erwartet Schwester Lucia die Gäste. Seit 23 Jahren ist die gelernte Apothekerin hier zuhause. Eine von 38 Benediktinerinnen zwischen 28 und 96 Jahren. „Ora et labora“ lautet ihr Lebensmotto. Bete und arbeite! Für den Unterhalt sorgen ein gut sortierter Klosterladen und 28 Zimmer im Gästehaus St.Scholastika. Weiter expandieren aber wollen sie nicht. „Wir brauchen auch Rückzugsräume“, sagt Schwester Lucia. Platz für innere Stille, die sie im großen Klostergarten und der Abteikirche suchen, wo sie sich mehrmals täglich zum gemeinsamen Gebet treffen. Zu Andachten, an denen auch Besucher teilnehmen können.
Nur ein paar Fußminuten vor dem Kloster steht der sogenannte Karlstein, Westfalens ältestes Steinkreuz. Aus karolingischer Zeit soll es stammen, hatte doch Karl der Große im Kampf gegen die heidnischen Sachsen in Herstelle einst sein Winterlager aufgeschlagen. Das steinerne Denkmal erinnert an die Christianisierung des deutschen Ostens und Nordens, in deren Rahmen zahllose Klöster entstanden.
Statt Klosterbetrieb: Hotel oder Bildungsstätte
So wie das Kloster auf der Brede in Brakel, das heute als schulisches Zentrum dient. Oder das einstige Zisterzienserinnenkloster Wormeln, in dessen altem Kreuzgang heute die Urnen mit der Asche Verstorbener aufbewahrt werden. Und auch das ehemalige Kanonissenstift Neuenheerse, dessen Wurzeln bis ins 9. Jahrhundert reichen. Viele der einstigen Klöster haben inzwischen als christliche Bildungs- und Erziehungsstätten eine neue Rolle gefunden. Manche, wie das ehemalige Benediktinerkloster Gehrden, werden als Hotel genutzt. In der Klosterkirche Peter und Paul gegenüber wird das Mittelalter heute hin und wieder in gregorianischen Gesängen lebendig.
Übrigens: Das Bewusstsein, im Kulturland Höxter alter abendländischer Kultur besonders nahe zu sein, schlägt sich mehr und mehr auch in den Übernachtungszahlen nieder. Und mit durchschnittlich 4,6 Tagen bleiben Besucher im äußersten Osten Westfalens auch länger als in vielen anderen deutschen Regionen.
Schloss Corvey: 1.April-1.November täglich 10-18 Uhr, www.schloss-corvey.de; Abtei Marienmünster: täglich 8.30-18 Uhr, www.kulturstiftung-marienmünster.de; Landvolkshochschule und Jugendhaus Hardehausen: täglich 10-17 Uhr, www.lvh-hardehausen.de; Schloss Gehrden: täglich 7-21.30 Uhr, www.schloss-gehrden.de; Ehemaliges Zisterzienserinnenkloster Wormeln: Kolumbarium Di-So 14-17 Uhr, www.st-marien-warburg.de; Abtei vom Heiligen Kreuz Herstelle: täglich 10-12 und 15-17 Uhr, www.abtei-herstelle.de. Allgemeine Auskünfte: Tourist-Info Höxter, Telefon (0 52 71) 1 94 33, www.hoexter-tourismus.