Leif, Sie duzen gern alle, mich auch, also duze ich fröhlich zurück: Du hast beim Kirchentagsjubiläums in Greifswald angedeutet, du hättest einen „Heidenrespekt“ davor gehabt, bei einem Kirchenfest Quatsch zu machen. Wieso?
Leif Tennemann: Ja, ich hatte eine Riesenehrfurcht! Irgendwie dachte ich, bei einer kirchlichen Veranstaltung, noch dazu unter dem Motto „Friede sei mit Dir“, wäre meine Art vielleicht unpassend. Aber das war völlig unbegründet. Viele Leute haben verdutzt reagiert: ‚Herr Tennemann, Sie hier?‘ Aber die haben sich gefreut! Ich bin ja auch keiner, der die Leute fertig macht. Ich will mit ihnen zusammen lachen, nicht über sie, das merken sie.
Wie hast du Kirche erlebt bei diesem Kirchentag?
Ich war total beeindruckt davon, wie das Motto „Friede sei mit Dir“ durchdekliniert wurde – so, dass man ins Nachdenken kam. Zum Beispiel wurde gefragt: Was kannst Du selbst zum Frieden beitragen? Ich finde es wichtig, dass wir uns solche Fragen stellen. Auch die Organisation hat mich schwer beeindruckt, so eine Veranstaltung für 2000 Leute muss man erstmal hinkriegen! Und die Stimmung, die da herrschte. Ich sage von mir, dass ich ein hoffnungsvoller Heide bin. Bei dieser Veranstaltung kriegte man ein Gefühl dafür, was Hoffnung vielleicht ist.
Wie meinst du das?
Ich denke, dass wir Menschen Hoffnung brauchen. Und einen Anker. Und dass man den in der Kirche vielleicht findet: die Kirche ist auch ein wichtiger Teil meines Lebens. Ich bin viel in der Welt unterwegs und gehe da gern auf Friedhöfe und grundsätzlich in jede Kirche. Nicht nur, weil es da drin kühl und ruhig ist, sondern weil da immer etwas passiert, was ich schwer zu beschreiben finde. Sowas wie: Ich komme bei mir selbst an. In den Kirchen auf Rügen, etwa in Wiek, Bergen oder Altenkirchen, sitze ich gerne mal eine halbe Stunde nur für mich. Oder wenn ich mit meiner Tochter einen Kulturausflug nach Berlin unternehme, dann fragt sie, Papa, in welche Kirche wollen wir heute gehen? Ich hab da zwei, drei Lieblingskirchen. Da geht man hinein und die Welt ist eine andere.
Du hast auf der Bühne erzählt, dass auch die Beerdigung deines Bruders dich sehr zum Nachdenken gebracht hat.
Ja. Mein Bruder ist vor zwölf Jahren an Lungenkrebs gestorben und das tut mir bis heute weh. Wir beide waren total dicke miteinander. Bei der Beerdigung hatte ich das Gefühl, ich breche zusammen, ich hab‘ keinen Halt. Und dann habe ich meine Schwägerin erlebt, seine Frau. Sie war auch in tiefer Trauer, aber konnte viel stärker damit umgehen. Später habe ich sie gefragt, wieso, und sie hat gesagt: ‚Ich rede mit Deinem Bruder. Ich weiß, dass ich ihn wiedersehen werde! Und der Herrgott ist bei mir.‘ Das hat mich total beeindruckt, da habe ich nochmal neu nachgedacht über den Glauben. Durch den Tod meines Bruders ist mir auch meine eigene Endlichkeit zum ersten Mal richtig bewusst geworden.
Gehst du manchmal in Sonntagsgottesdienste?
Ich war schon zwei, drei Mal da, aber habe mich eher geschämt, weil ich die Lieder alle nicht mitsingen konnte, nicht wusste, wann man aufsteht und so weiter. Aber in Altenkirchen auf Rügen gehe ich seit 17 Jahren immer zur Christvesper. Nachts um 22 Uhr, wenn es stockdunkel ist. Das ist für mich Weihnachten. Zu hören: Es geht um das Licht, das in die Welt gekommen ist. Ich glaube, ich bin da auf dem richtigen Weg.
Es klingt, als hättest du ein sehr positives Bild von Kirche.
Ja. Der Grundgedanke ist einer, den ich toll und wichtig finde: die Geschichte von der Schöpfung. Weil das ein Anker ist für die Menschen und Hoffnung geben kann. Ich bin zwar auch ein Riesenzweifler, aber ich glaube, diesen Anker kann Kirche bieten. Es ist ein bisschen so, als ginge man einen gefährlichen Weg und jemand sagte: ‚Trau dich. Vertrau mir.‘ Die Kirche ist für mich auch eine Institution, die an Werte wie Liebe und Gewaltlosigkeit erinnern kann und auch muss. Das erwarte ich von ihr, das brauchen wir als Gesellschaft.
Ich bedaure inzwischen sehr, dass ich zu DDR-Zeiten nicht in der Kirche war und über die Zusammenhänge noch gar nichts wusste, obwohl meine Oma gläubig war. Irgendwann in den 1980-ern wollte ich dann aber wissen, was Christen eigentlich glauben. Bei der NVA hatte ich einen Kameraden, Martin, der kam aus einem Pfarrhaushalt. Ich wäre an der Armee fast zerbrochen. Aber es gab eine Bibliothek, in der ich viel gelesen habe, und Martin hat mir ganz viel erklärt. Ich habe immer gesagt: der wissende heilige Martin.
Wenn man dich so hört, könnte man sich fast fragen, wann du dich taufen lässt.
Ooh, da habe ich zu viel Respekt. Der Glaube ist ja nicht nur ein Geschenk, der Glaube verlangt auch etwas von einem. Wenn ich der Kirche beitreten würde, hätte ich den Anspruch, das alles zu erfüllen, und ich weiß nicht, ob ich das kann. Also, die Frage ist eher, ob ich zum nächsten Kirchentag kommen werde, vielleicht auch privat. Und das kann ich mir durchaus vorstellen. Aus Neugier, aus Hochachtung. Und weil es mich einfach interessiert.