In Namibia werden am 27. November ein neuer Präsident und ein neues Parlament gewählt. Wichtigste Wählergruppe sind die “Born-Free”, die nach der Unabhängigkeit Geborenen. Sie könnten die politische Landschaft verändern.
Es ist gut möglich, dass an Namibias Staatsspitze künftig eine Frau steht. Die regierende Swapo-Partei – sie entstand aus der Unabhängigkeitsbewegung South West Africa People’s Organisation – schickt Vizepräsidentin Netumbo Nandi-Ndaitwah (72) ins Rennen um das höchste Staatsamt. Der langjährige Amtsinhaber Hage Geingob starb im Februar an Krebs. Ein Nachfolger wird am 27. November gewählt.
“NNN” – so ihr Spitzname – kennt die Swapo seit ihrer Jugend. Die Tochter eines anglikanischen Pastors war zunächst Teil der Jugendbewegung. In den 1970er Jahren verbrachte sie einige Jahre im Exil und machte nach Namibias Unabhängigkeit von Südafrika 1990 politisch Karriere. Sie war bereits Umweltministerin, Außenministerin, Vize-Premierministerin und ist nun Vizepräsidentin ihres Landes. Um zu gewinnen, braucht sie die absolute Mehrheit der Stimmen.
Eine Feministin sei sie jedoch nicht, sagt Henning Melber, Professor am Institut für Politikwissenschaften der Universität Pretoria in Südafrika. “Sie verkörpert männliche Werte. Auch ist sie zutiefst religiös, gegen eine Liberalisierung von Abtreibung und gegen gleichgeschlechtliche Ehe.” International positioniere sie sich ebenfalls eindeutig: “Sie hat eine Affinität zu Russland, und Nordkorea zählt zu den Bruderstaaten.”
Gewerkschafter Herbert Jauch, Vorsitzender des Economic and Social Justice Trust in Namibia, meint: “Das Charisma einer Politikerin fehlt ihr, besonders wenn sie Jugendliche anspricht.” Überdies habe sie bisher nicht an Kandidaten-Duellen teilgenommen. Allerdings sei sie eine erfahrene Politikerin. Insgesamt gelte sie in vielen gesellschaftlichen Kreisen durchaus als wählbar.
Größter Herausforderer ist mit Panduleni Itula (67) ein einstiges Swapo-Mitglied. Der Zahnarzt, der mehr als drei Jahrzehnte in London lebte, trat trotz seines Parteibuchs 2019 als unabhängiger Kandidat an und holte aus dem Stand knapp 30 Prozent der Stimmen. Ein Jahr später folgte der Parteiausschluss und schließlich die Gründung der eigenen Partei Independent Patriots for Change.
Die Patriots sind längst nicht mehr die einzige wichtige Oppositionspartei. Dass neue politische Allianzen Anhänger finden, zeigt sich seit Jahren, etwa bei den Lokal- und Regionalwahlen 2020. Zwar blieb die Swapo mit Abstand stärkste Kraft, verlor aber deutlich. Dadurch wird der Ausgang der Präsidenten- wie Parlamentswahlen unvorhersehbarer denn je. “Es ist die erste spannende Wahl”, sagt Experte Henning Melber.
Verlässliche Umfragen gibt es nicht. Es ist jedoch denkbar, dass das neue Staatsoberhaupt nicht der Regierungspartei angehört – ein Novum in Namibia.
Ein Grund dafür ist, dass sich junge Wähler immer weniger mit der Swapo identifizieren. Einst kämpfte die Bewegung für Unabhängigkeit und ein Ende der Apartheid. Die Wahl der einstigen Freiheitskämpfer Namibias galt in der Bevölkerung lange als selbstverständlich.
Heute sind gut 70 Prozent der 2,8 Millionen Einwohner des Landes jünger als 35 und “Born-Free”. Sie wurden also nach Ende der südafrikanischen Fremdherrschaft geboren. Infolgedessen beschäftigen sie sich weniger mit dem historischen Kampf gegen Unterdrücker, sondern fordern – ganz modern – wirtschaftliche und soziale Verbesserungen. Tatsächlich gibt es in dieser Hinsicht viel zu tun. “Nach Südafrika ist Namibia das zweitungleichste Land der Welt”, resümiert Melber.
Die Arbeitslosenquote liegt seit Jahren bei um die 20 Prozent. Eine neue Elite ist zwar mittlerweile entstanden. Aber verschiedenen Berichten zufolge leben mindestens 40 Prozent der Bevölkerung weiter in Hütten. Mindestens 70 Prozent der ländlichen Bevölkerung haben keinen Zugang zu Strom.
In Namibia fehle es noch immer an verarbeitender Industrie, kritisiert Herbert Jauch. “Das Land exportiert Rohstoffe, muss aber über 90 Prozent aller landwirtschaftlichen Fertigprodukte einführen.” Auch sei eine Energiewende notwendig, wegen zu großer Abhängigkeit von Südafrika. Der in Deutschland gerne thematisierte “grüne Wasserstoff” werde jedoch zunehmend hinterfragt. Bereits 2021 unterzeichneten Deutschland und Namibia eine Absichtserklärung zum Aufbau einer Partnerschaft, um aus Wind- und Solarkraft Wasserstoff auch für den deutschen Markt herzustellen. “Ein solches Vorhaben kann neokoloniale Muster haben”, bemängelt Jauch.
Auf dem Mo-Ibrahim-Index zu guter Regierungsführung, politischer Teilhabe, Sicherheit und Entwicklung in Afrika liegt Namibia auf Platz sechs, hat aber in den vergangenen zehn Jahren Punkte verloren. Dennoch gilt es weiterhin als politisch stabil. Henning Melber betont: “Seit der Unabhängigkeit hat es keinen einzigen politisch motivierten Mord gegeben.” Die Wahlen am 27. November würden nun zeigen, ob die Demokratie weiterhin die Siegerin bleibe.