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Nahost-Krieg: Berliner Pfarrerin zurück aus Tel Aviv

Marion Gardei hat die Angriffe der Hamas in Tel Aviv erlebt. Mittlerweile ist sie wieder zu Hause. Doch in Gedanken ist sie noch immer bei den Menschen in Israel.

Am Schalter des Flughafens von Tel Aviv musste sich Marion Gardei wegen Raketenbeschuss' auf den Boden legen
Am Schalter des Flughafens von Tel Aviv musste sich Marion Gardei wegen Raketenbeschuss' auf den Boden legenPrivat

Marion Gardei (65) hat die Angriffe der Hamas auf Israel in einer Ferienwohnung in Tel Aviv miterlebt. Gemeinsam mit ihrer Tochter war die Beauftragte für Erinnerungskultur und gegen Antisemitismus der Berliner Landeskirche im Land als die Angriffe begannen und berichtete für evangelische-zeitung.de von ihren Eindrücken. In einem zweiten Gespräch mit Mirjam Rüscher schildert sie die chaotischen Zustände bei ihrer Abreise.

Frau Gardei, Sie sind nun wieder zu Hause. Wie verlief die Rückreise, wie geht es Ihnen jetzt?
Marion Gardei: Angesichts all des Leids in Israel möchte ich mich nicht als Opfer gerieren, aber die Rückreise war für mich sehr belastend. Zunächst haben wir mit etwa 1000 Ausreisewilligen vier Stunden in der Abflughalle Schlange gestanden, dann gab es plötzlich Raketenbeschuss. Wir mussten uns alle auf den Boden legen, das Gesicht nach unten, die Hände über den Kopf. Neben mir lang eine hochschwangere Frau, die einen Nervenzusammenbruch erlitten hat, überall haben Kinder geschrien. Bis zuletzt war es unklar, ob wir überhaupt ausfliegen können. Der Pilot unserer Airline El Al sagte beim Start, dass wir alle beten sollen – für Israel, für den Frieden und auch dafür, dass wir sicher ankommen.

Die Theologin Marion Gardei auf der menschenleeren Straße nahe ihrer Ferienwohnung in Tel Aviv
Die Theologin Marion Gardei auf der menschenleeren Straße nahe ihrer Ferienwohnung in Tel AvivPrivat

War das Ausfliegen gefährlich?
Kritisch sind wohl die ersten Minuten. Wir sind durch schwarze Rauchwolken geflogen, wurden eskortiert und die Piloten standen die ganze Zeit in Kontakt mit der Luftwaffe. Und dass wir überhaupt das Land verlassen konnten, grenzt an ein kleines Wunder. Die Deutsche Botschaft war völlig überfordert und hat wirklich keinen guten Job gemacht. Am Ende hat jemand aus der israelischen Botschaft in Berlin geholfen, der für viele Flüge gebucht hat.

Umso mehr freuen Sie sich sicher, dass Sie wieder zu Hause sind…
Ich bin sehr dankbar, dass wir gesund und zu Hause sind. Gleichzeit habe ich fast ein Schuldgefühl den vielen anderen gegenüber, die noch dort sind. Ich habe auch auf unsere Freunde eingeredet, ob sie nicht auch Flüge buchen wollen, aber sie sagten: „Was sollen wir denn in Berlin, das hier ist unser zu Hause.“ In Gedanken bin ich bei den Menschen in Israel.

Wie haben Sie die Stimmung in Israel und die Menschen vor Ort kurz vor Ihrer Abreise erlebt?
Ich habe eine große Hilfsbereitschaft erlebt, eine große Solidarität im Land – auch uns gegenüber. Unsere Nachbarn haben sich um uns gekümmert, haben uns während der Angriffe gut zugeredet, uns erklärt, was passiert. Am Ende waren wir sozusagen in einem leeren Hochhaus. Die jungen Leute, die nicht von der Armee eingezogen wurden, waren unterwegs und haben evakuierte Familien versorgt. Alle haben versucht, etwas zu tun, zu helfen.

Auch in Tel Aviv haben die Raketen der Hamas Häuser zerstört
Auch in Tel Aviv haben die Raketen der Hamas Häuser zerstörtImago / Abacapress

Das klingt bewundernswert und gleichzeitig nach einer traurigen Routine. Sind die Menschen in Israel solche Situationen irgendwie schon gewohnt?
Ja und nein. Denn anders als bei früheren Gaza-Kriegen erleben die Menschen gerade ein großes Trauma, einen Schock. Es ist überhaupt nichts mehr normal. Das Gefühl der grundsätzlichen Sicherheit, das die Bevölkerung aller dauerhaften Bedrohung zum Trotz immer gespürt hat, ist nun plötzlich weg. Die Tatsache, dass so viele Terroristen ins Land eingedrungen sind, hat viele verstört, das hat es so noch nicht gegeben.

Von vielen Seiten gab es Solidaritätsbekundungen, kommt das bei den Israelis an?
Die Solidarität kommt an, ja. Es kommt aber auch an, wenn Anti-Israel-Demos in Neukölln stattfinden. Am Ende bleibt dann das Gefühl: „Wir müssen uns selbst helfen.“ Das gilt auch für Äußerungen, dass man zwar an Israels Seite stehe, die Angriffe aber auch als Folge der Kolonialisierung zu sehen seien. Das hilft nicht. Wenn jemand verwundet ist, dann nimmt man ihn in den Arm und tröstet, da braucht es jetzt keine Schuldzuweisungen.

Was sagen Sie zu den antisemitischen Äußerungen, zu den Protesten in Deutschland?
Diese Äußerungen überraschen mich leider nicht. Wir wissen schon länger, dass der Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Hass- und Nazi-Parolen gegen Israel gibt es nicht nur in Berlin-Neukölln, sondern auch in Charlottenburg. Leider gibt es immer Handlungsbedarf bei Maßnahmen gegen Antisemitismus.

Was denken Sie, wie geht es weiter?
Im Moment liegt das Hauptaugenmerk auf den Toten, den Geiseln. Doch dahinter taucht schon die Frage auf, was als nächstes passiert. Wie werden sich die arabischen Israelis dauerhaft verhalten? Was ist mit der Westbank? Wird nun alles noch schlimmer? Immerhin kann nach den grauenvollen Bildern, die gerade um die Welt gehen, keiner mehr sagen, dass die Hamas einen fairen Befreiungskampf führt. Das tut sie nicht. Es ist sinnloser Terror.

Wie wird es hier bei uns weitergehen?
Zunächst starten jetzt viele Solidaritäts- und Trost-Gottesdienste, die sind ein gutes und wichtiges Zeichen. Und dann sollte es aus meiner Sicht darum gehen, politischen Einfluss zu nehmen, Haltung zu zeigen gegenüber Israel – ohne Wenn und Aber. Ich hoffe, dass die Art der Entwicklungshilfe für Palästina auf den Prüfstand kommt, ich hoffe, dass die EU und die USA zu ihren Versprechen stehen und gegenüber der Hamas eine konsequentere Haltung des Verbots und der Ablehnung durchsetzen. Ich hoffe außerdem, dass die Welle der Solidarität anhält und nicht einfach verpufft. Wir müssen uns, fürchte ich, einfach auf längere kriegerische Auseinandersetzungen einstellen.