Artikel teilen:

Nach Massaker in Nigeria – Gewalt eskaliert in Afrikas Riesenstaat

Während Kriege in Nahost und der Ukraine die Weltpolitik beherrschen, erhält ein Konflikt kaum Beachtung: Im Zentrum Nigerias werden jährlich tausende Menschen ermordet. Der einstige Konflikt um Weideland ist komplex.

Wieder hat ein Massaker in Afrikas Riesenstaat Nigeria für Entsetzen gesorgt. Im Ort Yelwata, der im Bundesstaat Benue im Zentrum des Landes liegt und mitunter Yelewata geschrieben wird, sind jüngsten Schätzungen zufolge möglicherweise mehr als 200 Menschen ermordet worden. Schon lange erlebt die Region, die als Kornkammer Nigerias gilt, Überfälle und Angriffe. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) beantwortet zentrale Fragen zu der massiven Gewalt und dem sogenannten Farmer-Viehhirten-Konflikt.

Was hat sich in der Nacht von Freitag auf Samstag im Bundesstaat Benue ereignet?

Bewaffnete haben den Ort Yelwata überfallen. Einigen Medienberichten zufolge soll es sich bei den Angreifern um Viehhirten gehandelt haben. Zunächst wurden offiziell 45 Todesopfer bestätigt. Der Vatikan spricht jedoch von mehr als 200 Ermordeten. Dort heißt es auch, dass die Mehrheit der Opfer Binnenvertriebene waren, die zuvor in einer katholischen Missionen Zuflucht gefunden hatten. Andere Medien sowie die nationale Nothilfe-Agentur Nema bestätigen das jedoch nicht. Laut Amnesty International wurden viele Familien in ihren Häusern eingesperrt und verbrannten in ihren Schlafzimmern. Dutzende Verletzte seien ohne ausreichende medizinische Versorgung zurückgelassen worden.

Wie reagiert die Regierung von Bola Tinubu, der seit 2023 Präsident ist, auf den Anschlag?

Am späten Sonntagabend bezeichnete Tinubu auf der Plattform X die Gewalt als unmenschlich und fortschrittsfeindlich. Sicherheitsbehörden müssten entschieden handeln und die mutmaßlichen Täter strafrechtlich verfolgen. Allerdings: Papst Leo XIV. hatte sich schon Stunden zuvor zu dem Massaker geäußert. Am Sonntagmittag sagte er: “Ich bete dafür, dass Sicherheit, Gerechtigkeit und Frieden in Nigeria herrschen, einem geliebten Land, das so sehr von verschiedenen Formen der Gewalt betroffen ist.”

Wie reagiert die Bevölkerung auf das Massaker?

In Benues Hauptstadt Makurdi hat es lokalen Medien zufolge am Sonntag Proteste gegeben. Vor allem Jugendliche forderten ein Ende der Gewalt und kritisierten Gouverneur Hyacinth Iormem Alia. Er ist übrigens der erste katholische Priester, der in Nigeria ein so hohes politisches Amt innehat. Remigius Ihyula, Direktor des Caritas-Komitees für Gerechtigkeit, Entwicklung und Frieden der Diözese Makurdi, sagt im Gespräch mit der KNA jedoch: “Wir sind nicht komplett geschockt. Hier werden täglich Menschen ermordet.”

DiGewalt ist also nicht neu?

Nein – laut einer Ende Mai veröffentlichten Untersuchung von Amnesty International wurden in den beiden ersten Amtsjahren Tinubus mindestens 6.896 Personen in Benue getötet.

Welche Ursachen hat die Gewalt?

Es gibt unterschiedliche Interpretationen: Lange wurde in Nigerias Middle Belt – ein geografischer Gürtel, der sich von Ost nach West mitten durch Nigeria zieht, – vom Farmer-Viehhirten-Konflikt gesprochen. Mit der wachsenden Bevölkerung begann ein Kampf um fruchtbares Weide- und Ackerland. Konflikte entstanden, weil Vieh bestellte Felder zerstörte, Bauern aber auch einstige Weidekorridore und Wasserstellen blockierten. Mitunter erhielt die Auseinandersetzung einen religiösen Anstrich: Die sesshaften Bauern bekennen sich überwiegend zum Christentum, während die Hirten der ethnischen Gruppe der Fulani angehören und Muslime sind. Deshalb wurde – verschiedenen Experten zufolge fälschlicherweise – von Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen gesprochen.

Welche Rolle spielt der Klimawandel?

Dieser wird in Nigeria zunehmend als Konflikttreiber wahrgenommen. Wegen knapper werdender Weideflächen müssen Hirten weiter in Richtung Süden ziehen, was zu Konflikten führt. Lassen sich Flächen nicht mehr bebauen, fehlen Jobs; gleichzeitig verschlechtert sich die Versorgungslage. Studien zufolge werden junge Menschen anfälliger für Werbeangebote extremistischer Gruppierungen.

Gibt es Verbindungen zu terroristischen Gruppen?

Darüber wird seit Jahren spekuliert. Eine zeitlang wurden Fulani-Hirten in Nigeria per se als Terroristen abgestempelt. In der Lesart mancher nutzen islamistische Terrorgruppen – im Nordosten des Landes sind weiterhin die Gruppen Boko Haram und der “Islamische Staat in der Westafrikanischen Provinz” aktiv – Viehhirten, um sich weiter in Richtung Süden auszubreiten. Teilweise wird vom Versuch der Islamisierung gesprochen. Ebenso möglich ist auch, dass bewaffnete Banden ohne ideologische Agenda für die Überfälle verantwortlich sind.