Auf dem Schulhof ertönt ein Pfiff und alles steht still. Solange die tansanische Landesflagge langsam den Mast herabsinkt, dürfen sich die Schüler*innen und Lehrer*innen der Ekisha-Grundschule nicht bewegen. Die Schule scheint eingefroren. Dann, ein zweiter Pfiff, das Leben geht weiter, die Kinder laufen in die verschiedenen Gebetsräume.
Für mich als evangelische Mitteleuropäerin war der Einblick in die tansanische Gottesdienstwelt berührend. Dabei ist mir wichtig zu erwähnen: Ich sehe alles nur in der Perspektive eines westlichen Gastes, der für einige Monate in die Kulturen eines so wunderschönen Landes eintauchen durfte.
In dem, was ich beobachte, möchte ich nicht werten und ich bin mir der schmerzhaften Kolonialisierung in der Missionierungsgeschichte dieses Landes bewusst. Nur wäre es schade, nicht über die Religionenvielfalt in Ekisha zu berichten, denn es gibt so vieles, was wir von den Kindern dort lernen können.
Kinder vieler Religionen
In Kigamboni, einem Außenbezirk von Tansanias größter Stadt Daressalam, gibt es eine wachsende Schule namens „Ekisha“. In der Haya-Stammessprache bedeutet das „Gnade“. Diese Schule besuchen um die 180 Kinder, darunter katholische, lutherische und muslimische Kinder. Zu Schulbeginn machen sie sich zu ihren verschiedenen Gebetsräumen auf: Die muslimischen Kinder beten zusammen mit einem muslimischen Lehrer und die katholischen knien zwischen den bunten Bänken, leiten ihr Gebet selbst an und erhalten, wenn es so weit ist, Kommunionsunterricht.
Ich bin zu den lutherischen Kindern gegangen und hier war oft regelrecht Partystimmung. Das klingt zwar spaßig, ist aber sehr anspruchsvoll. Jedes Lied hat seinen eigenen Tanz oder zum Liedtext passende Bewegungen. Nach jeder vorgelesenen Geschichte gibt es ein Quiz, das prüft, ob auch alle richtig zugehört haben.
Gottesdienst mit mehr Gesang, mehr Tanz und mehr Interaktion
Sonntags geht es in die Kirche: 20 Kinder in einen Bus mit neun Plätzen, und dann wird losgeschaukelt. Manchmal fängt der Bus an zu stottern und wir landen auf einer staubigen Straße, alle in ihren schönsten Schuluniformen. Doch das Problem ist meist schnell wieder behoben und ich habe noch nie erlebt, dass wir zu spät zu einem Gottesdienst kamen.
Ein lutherischer Gottesdienst ist zwei bis drei Stunden lang. Er ähnelt im Ablauf fast einem Sonntagsgottesdienst in Deutschland. Nur länger und intensiver, weil viel mehr von der Gemeinde erwartet wird: mehr Gesang, mehr Spenden, mehr Tanz, mehr Interaktion und auch mehr Konzentration.

Während wir hierzulande an die Hand genommen und mit übersichtlichem Programm durch einen Gottesdienst geführt werden, sind die tansanischen Gottesdienste dichter: Es wird öfter gelesen und noch einmal spontan nachgeschlagen. Jede*r hat eine Bibel dabei. Während der Predigt muss zahlreich zugestimmt, genickt und „hallelujaht“ werden. Das erzeugt eine angenehm interaktive Stimmung. Auch wenn man wenig Suaheli versteht.
Die Spenden sind dann ein eigenes kleines Fest. Ich habe erlebt, dass beim Erntedankfest wirklich Geerntetes gespendet wird. Am Ende liegen unter dem Altar Maiskolben, Reissäcke, Zuckerrohr, vier Hühner und eine Kuh. Alles wird anschließend versteigert und das Geld fließt in die kirchliche Arbeit. Beeindruckend für mich ist, wie viele Menschen etwas geben und es dann wieder ersteigern, weil sie wissen, dass die Kirche damit viel bewirken kann. Ich konnte zwar nur einen Ausschnitt sehen, aber auch von den Erzählungen der Kinder habe ich gelernt: Gottesdienst ist ein Ereignis, Treffpunkt, Freizeit und Unterricht zugleich.
Kopftuch und Kruzifix
Genau das versuchen die Lehrer*innen in Ekisha auch den Kindern zu vermitteln. Viele von den Grundschullehrer*innen sind nur einige Jahre älter als ich. Deshalb habe ich Respekt davor, dass sie so darauf achten, Kinder in ihrem Glauben zu unterstützen. Oft ist Gesang das Mittel, um den Schüler*innen Gefühle oder Geschichten nahezubringen. Wie oft habe ich einfach nur staunend in einem der vom Abendlicht durchfluteten Klassenräume gesessen und den Stimmen der Pädagog*innen gelauscht. Außerdem ist es für alle selbstverständlich, dass einige Kinder Kopftuch tragen und andere ein Kruzifix anbeten.