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Mutter einer getöteten Referendarin verzeiht Amokläufer

Gisela Mayer hat ihre Tochter beim Amoklauf von Winnenden verloren. Zehn Jahre nach der Tat empfindet sie dem Täter gegenüber keinen Hass mehr.

Winnenden. Zehn Jahre nach dem Amoklauf von Winnenden hat Gisela Mayer, Mutter einer 24-jährigen getöteten Referendarin, dem Amokläufer Tim K. verziehen. Sie habe sich zu keinem Zeitpunkt vorgenommen, ihm vergeben oder zu verzeihen, sagte die Vorsitzende der Stiftung gegen Gewalt an Schulen dem Evangelischen Pressedienst (epd). Doch heute empfinde die 60-Jährige keinen Hass mehr ihm gegenüber.

Zuerst habe sie nur Entsetzen und eine große, überwältigende Wut gefühlt. Dann, als sie versuchte, ihn zu verstehen, habe sie andere Gefühle entwickelt: "Der Täter wurde ein eigentlich bedauernswerter Junge, keineswegs der große Rächer, der er selbst gerne sein wollte."

Prozess des Verstehens und Bedauerns

Es war ein Prozess, der in ihr stattgefunden habe. Sie habe diese unglaubliche Leere in ihm gesehen, die so groß war, dass sie dazu geführt habe, Hass auf die Fülle des Lebens anderer zu entwickeln und ihr Leben zu zerstören. "Das muss furchtbar sein, wenn man vor lauter Hass ausgeschlossen ist von jeder guten Empfindung!"

Dieser Prozess des Verstehens und Bedauerns habe nichts mit der Schuldfrage zu tun, auch nicht damit, ob Lehrer oder Psychiater etwas hätten merken müssen, betont sie. "Ich entschuldige damit auch den Täter nicht. Seine Tat und die Schuld bleibt." Aber heute könne sie sagen, dass sie vieles verstehe. "Man nennt das Verzeihen. Ich selbst scheue davor zurück, einen so anspruchsvollen Begriff zu verwenden", sagt Mayer, die Philosophie und Psychologie studiert hat.

Trauer um ihre Tochter

Aber ihr Schmerz werde dadurch, dass sie den Täter hasst, nicht kleiner. Das eine sei nicht mit dem anderen verknüpft. Das sei das fatale am Gedanken der Rache. "Viele Menschen denken, wenn ich mich am Täter räche ist der Verlust besser zu ertragen."

Aber die Trauer um ihre Tochter und dass sie nicht leben durfte, sei völlig unabhängig von dem Täter, sagt Mayer, die auch in dem neu erschienen Buch "Vergebung" von Andreas Unger (Herder-Verlag) zu Wort kommt. "Das befreit mich, dass ich nicht durch Hass an einen Menschen gebunden bin, den ich nicht einmal kenne, der mich aber fesselt und der auch mein Leben komplett verändert hat." Das Verzeihen sei ihr passiert, weil sie verstehen wollte. "Es war nicht meine Absicht, es war nicht mein Können, es war eigentlich – es war eher Gnade."