Es ist der Höhepunkt des Jubiläums zu 375 Jahre Westfälischer Frieden. Nobelpreisträger und Experten kommen am Dienstag nach Münster, um vor der Folie des Dreißigjährigen Krieges nach Wegen zum Frieden zu suchen.
Weltenbrand, Gemetzel und Apokalyptische Reiter: Der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) ist zur Chiffre für einen Sog von Gewalt geworden. “Wir sind doch nunmehr gantz / ja mehr denn gantz verheeret!” dichtete Andreas Gryphius seinerzeit.
Ausgebrannte Städte, verwüstete Landstriche, millionenfacher Tod und ständig wechselnde Bündnisse: Laut Berechnungen von Historikern führte der Konflikt im damaligen Reich zu einem Bevölkerungsrückgang um ein Drittel: von 18 auf 11 Millionen Einwohner. Das stellt selbst den Ersten und Zweiten Weltkrieg in den Schatten. Allerdings kamen die meisten Menschen nicht durch direkte Kampfhandlungen, sondern durch Hungersnöte und Seuchen ums Leben.
Und wären nicht alle Konfliktparteien vollkommen erschöpft und finanziell ruiniert gewesen, der vor genau 375 Jahren zu Münster und Osnabrück unterzeichnete Westfälische Friede wäre wohl immer noch nicht zustande gekommen. Zum 375. Jahrestag des Friedensschlusses werden am Dienstag in Münster internationale Experten und Friedensnobelpreisträger erwartet. Sie diskutieren beim “Westphalian Peace Summit 2023” darüber, welche Wege angesichts der vielen aktuellen Krisen zum Frieden führen können.
Drei volle Jahre, von 1645 bis 1648, hatte sich das Pokern der Kriegsparteien in Münster und Osnabrück hingeschleppt. Dabei rangelten die Abgesandten von mehr als 190 Fürsten und Regenten bis zum Papst tagelang darum, wer wie angeredet und mit welchen Ehrerbietungen bedacht werden musste. Dennoch: Im katholischen Münster und im überwiegend protestantischen Osnabrück wurden schließlich Verträge unterschrieben, die Europa bis heute prägen und als “eine Art Grundgesetz” der Staatengemeinschaft gewertet werden.
Vorausgegangen waren 30 Jahre Folter, Mord, Vergewaltigung, Plünderung und Zerstörung: Wie ein Schwelbrand hatte sich der ursprünglich regional begrenzte Konflikt durch halb Europa gefressen. Insgesamt 13 getrennte Konflikte haben die Fachleute ausgemacht: Es begann 1618 mit dem “Prager Fenstersturz” und einem Aufstand der protestantischen böhmischen Stände gegen das katholische Kaiserhaus Habsburg. Der Kaiser siegte. Doch als er daraufhin eine Rekatholisierung sowie die Bildung einer starken Zentralmacht im Reich durchsetzen wollte, griffen die übrigen protestantischen Reichsstände ein. Sie riefen 1625 auch den dänischen König Christian IV. zur Hilfe.
Das ausblutende Deutschland wurde vollends zum Schauplatz für das europäische Mächtespiel. Am 4. Juli 1630 landeten die Schweden unter Führung ihres Königs Gustav Adolf, des “Löwen aus Mitternacht”, auf der Insel Usedom. Vier Jahre lang kämpften sie auf protestantischer Seite gegen das katholische Übergewicht im Reich und stießen bis weit nach Süddeutschland vor.
Längst schon war der Krieg kein Religionskrieg mehr: Als 1635 das katholische Frankreich in den Konflikt eingriff, kämpften seine Soldaten auf Seiten der Evangelischen. Konfession zählte weniger als Machtfragen.
Immer neue Heere marodierender Landsknechte zogen durch Deutschland. Der Krieg nährte den Krieg. Die Bevölkerung wurde ausgepresst wie eine Zitrone. Angesichts der verworrenen Lage wirkte der “Westfälische Friede” wie ein Wunder. “Gott Lob, nun ist erschollen, das edle Fried- und Freudenwort” jubelte der Dichter Paul Gerhardt damals.
Das Abkommen besiegelte die Unabhängigkeit der Niederlande von Spanien und den Frieden des Kaisers mit den deutschen Regenten sowie des Reiches mit Frankreich und Schweden. In Münster und Osnabrück wurden auch Grenzen in Europa neu gezogen: Frankreich erhielt große Teile Lothringens, Schweden bekam Pommern, Bremen und Verden. Auch die Schweiz wurde staatsrechtlich unabhängig. Für die reformierten Protestanten in Deutschland brachte der Friede die volle rechtliche Gleichberechtigung.
Das “Trauma” des Dreißigjährigen Krieges grub sich tief ins Bewusstsein der Deutschen ein – bis hin zur Friedensbewegung der 1980er Jahre. Es hat – von Grimmelshausens “Simplicissimus” bis zu Schillers “Geschichte des Dreißigjährigen Krieges” – die nationale Identität mitgeprägt.