Aus der weltweiten Finanzkrise 2008 ist nach Einschätzung des Dortmunder Kirchenbank-Chefs Ekkehard Thiesler nur bedingt gelernt worden. Die Eskalation durch die Lehman-Pleite habe gezeigt, wie gefährlich der Mangel an ethischer Verantwortung werden könne, sagte der Vorstandsvorsitzende der Bank für Kirche und Diakonie (Dortmund) im Gespräch mit Ingo Lehnick.
Mit der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers vor gut zehn Jahren eskalierte die weltgrößte Finanz- und Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten – mit verheerenden wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sozialen Folgen in vielen Ländern. Was hat dazu geführt?
Das ist nicht monokausal zu erklären. Für mich war eine der wesentlichen Ursachen die Gestaltung der Finanzprodukte, die Trennung von Risiko und Haftung. Hinzu kamen die enorme Beschleunigung der Transaktionen durch das Internet und die relativ geringe Eigenkapitalausstattung der Akteure. Sehr interessant ist, dass schon Martin Luther erkannt hat: „Willst du ein Interesse haben, mit zu gewinnen, musst du auch ein Interesse haben, mit zu verlieren.“ Und verloren haben wir alle, allein in Deutschland hat die Rettung der betroffenen Banken die Steuerzahler mehr als 50 Milliarden Euro gekostet.
Gab es Fehler im System?
Ja, auch die gab es sicherlich. In den 2000er-Jahren haben viele Regierungen zu sehr auf die Kräfte des Marktes gesetzt, die die wirtschaftliche und damit auch die soziale Situation einer Volkswirtschaft heilen können. Länder wie Island und Irland verfügten über Banken, die Risiken eingegangen sind, die die kompletten Volkswirtschaften aus den Angeln gehoben haben. So ist aus der Finanzkrise die Staatsschuldenkrise geworden.
Hochriskante Spekulationen mit toxischen Wertpapieren waren jahrelang die Regel. Gab es in der Branche keine Sicherheitsmechanismen oder waren die Vorschriften zu lasch?
Banken haben einen volkswirtschaftlichen Auftrag und stehen schon immer unter einer besonderen Aufsicht und Beobachtung. In den 2000er-Jahren lag es nach meiner Auffassung daran, dass die Banken- und Kapitalmarktaufsicht nicht international gedacht und gehandelt hat. Ein anderer Punkt ist mir jedoch noch wichtiger. Die Finanzkrise hat deutlich gemacht, wie gefährlich der Mangel an Werten und ethischer Verantwortung für unser gesamtes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem werden kann. Es hätte wohl alles nicht zu solch desaströsen Auswirkungen geführt, wenn nicht eine grenzenlose Gier nach immer höherer Verzinsung nach der Maxime „möglichst schnell – möglichst viel“ bei vielen eine vernünftige Risikoabwägung verdrängt hätte.
Was wurde aus dem Crash gelernt?
Eine Folge ist der Imageverlust: Die Menschen trauen vielen Banken nicht mehr über den Weg. Das ist dramatisch und wirkt sich auf vielen Ebenen aus. Die Regierungen in Europa haben gelernt, dass die Bankenaufsicht von weltweit agierenden Großbanken mindestens auf europäischer Ebene erfolgen muss. Außerdem müssen Risiken mit deutlich mehr Eigenkapital hinterlegt werden. Das ist ein Lerneffekt, der verhindern soll, dass die Steuerzahler nochmal für die Banken einspringen sollen.
Ist das Risikobewusstsein der Banken heute genügend ausgeprägt?
Für die Bank für Kirche und Diakonie kann ich sagen, dass wir dieses Risikobewusstsein schon vor der Finanzkrise hatten und wir jetzt umfangreiche und teure Maßnahmen erfüllen müssen. Die Beiträge zu den Sicherungseinrichtungen haben sich für uns verdreifacht. Die europäischen Banken, die im internationalen Wettbewerb stehen, werden nach meiner Einschätzung durch die europäische Bankenaufsicht eng begleitet. Das finde ich grundsätzlich gut, aber im globalen Vergleich ist es auch ein Wettbewerbsnachteil. Unter den zehn größten Banken der Welt ist nur noch eine europäische Bank zu finden. Das ist eine Entwicklung, mit der wir uns beschäftigen müssen.
Sie leiten eine kirchliche Bank, die sich ethische Kriterien auf die Fahnen geschrieben hat und für die Geldverdienen nicht das einzige Ziel ist. Was machen Sie anders?
Wir haben einen komplett anderen Auftrag und eine besondere Historie: Wir sind eine Genossenschaftsbank, die von engagierten Menschen aus der evangelischen Kirche und der Diakonie initiiert wurde. Die Idee war und ist, die Rücklagen und Kapitalanlagen der Kirche als Kredite für diakonische Einrichtungen nutzen zu können. Aus diesem Auftrag ergibt sich für die KD-Bank eine besondere Verantwortung. Dieser Verantwortung entsprechen wir zum Beispiel, indem wir Kredite an kirchliche und diakonische Institutionen vergeben, die diese direkt für soziale Aufgaben benötigen, etwa im Krankenhausbereich oder in der Altenpflege und Behindertenhilfe.
Ein wichtiger Unterschied zu fast allen anderen Banken und Sparkassen ist, dass unsere Mitarbeitenden keine Absatzziele haben und keine Provisionen für den Vertrieb von Produkten erhalten. Dadurch können sie fair und ehrlich beraten. Geldverdienen ist für uns insofern wichtig, als wir einen Mindestgewinn erzielen müssen, um Steuern und Abgaben zahlen zu können, aber auch um unser Eigenkapital zu stärken und künftige Kreditwünsche aus der Sozial- und Gesundheitswirtschaft erfüllen zu können.
Wurden Sie von der Bankenkrise genauso getroffen wie andere Institute?
Nein, wir waren von der Finanzkrise nicht direkt betroffen. Die problematischen Produkte wurden uns zwar auch angeboten, wir hatten sie aber nicht im eigenen Bestand und haben sie auch nicht an unsere Kunden vermittelt. Wir haben schon damals mit unserem Nachhaltigkeitsfilter gearbeitet, diese Grundhaltung hat uns vor den Versuchungen bewahrt.
Hat die KD-Bank Konsequenzen aus der Lehman-Pleite und ihren Folgen gezogen?
Wir fühlen uns durch die Finanzkrise in unserer nachhaltigen Strategie bestärkt. Das ist eine wichtige Konsequenz und sie motiviert uns, neue Angebote zu entwickeln und aktiv auf neue Kunden zuzugehen. Eine Konsequenz, mit der wir leben müssen, sind die massiven Regulierungsmaßnahmen. Wir mussten in den internen Bereichen unser Personal erheblich aufstocken, um alle Anforderungen zu erfüllen. Das kostet uns sehr viel Geld.
Was sind für Sie Lehren aus der Finanzkrise?
In meiner Ausbildung hat mir mal ein älterer Banker gesagt: „Gier frisst Hirn!“ Ich konnte mir das nicht vorstellen und habe an den homo oeconomicus geglaubt, der rational entscheidet und Risiken abwägt. Als die Krise vor zehn Jahren begann und die ersten Berichte über die Hintergründe und die Konstruktionen der Finanzinstrumente erschienen, hatte ich verstanden.
Ist nachhaltige Geldanlage seit der Krise stärker gefragt?
Ich glaube, dass die Finanzkrise die Beziehungen zwischen Banken und Kunden verändert hat und viele Menschen daran interessiert sind, was mit ihrem Geld passiert. Darauf reagiert die Branche mit Angeboten, die punktuell sicherlich interessant und im Mainstream angekommen sind. Als Bank für Kirche und Diakonie haben wir einen höheren Anspruch. Wir möchten Nachhaltigkeit auf allen Ebenen umsetzen: durch eine faire und umfassende Beratung, eine transparente Kreditvergabe, unseren Nachhaltigkeitsfilter für die Eigenanlagen. In den letzten zehn Jahren ist unsere Bilanzsumme um 50 Prozent auf inzwischen fast sechs Milliarden Euro gewachsen. Ich schließe daraus, dass die Beziehungen zu unseren Kunden tragfähig sind und unsere nachhaltige Strategie von unseren Kunden unterstützt wird.