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Moderatorin Katty Salie über die Wahrnehmung von Depressionen

Die Moderatorin Katty Salie war selbst an Depressionen erkrankt. Ihr Buch “Das andere Gesicht” erzählt von ihren Erfahrungen, vor allem aber von den unterschiedlichen Formen, in denen diese Krankheit auftritt.

“Depression hat viele Gesichter” – unter diesem Motto klärt die Stiftung Deutsche Depressionshilfe derzeit über die Erkrankung auf, die bei über fünf Millionen Menschen in Deutschland bereits einmal diagnostiziert wurde. Die Moderatorin Katty Salie hat ihr Buch “Das andere Gesicht” genannt: Zahlreiche prominente Betroffene kommen darin zu Wort, jede und jeder bringt andere Facetten der Krankheit zur Sprache. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht Salie über Klischees, die Corona-Zeit und die Grenzen von Ratgeber-Literatur.

KNA: Sie thematisieren es in Ihrem Buch selbst: Braucht es noch ein Buch über Depressionen? – Offenbar ja. Warum?

Salie: Je mehr Menschen offen darüber gesprochen haben, desto mehr hat es mir geholfen, als ich selbst im Loch steckte. Eine Freundin war ebenfalls an Depressionen erkrankt und hat dieselben Podcasts und Artikel verfolgt. Sie hatte genau wie ich das Gefühl “ich bin nicht alleine”, fand es aber anstrengend, nach diesen vereinzelten Quellen zu suchen. Dafür konnte ich meinen Job als Journalistin nutzen. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich über meine eigene Depression schreiben muss, sondern ich wollte eine Sammlung für einen ersten Überblick zusammentragen.

KNA: Kann es einen Unterschied machen, wenn prominente Menschen offen mit diesen Themen umgehen?

Salie: Absolut. Ich hatte lange das Gefühl, keinen Grund dafür zu haben, dass es mir so schlecht geht. Ich habe einen tollen Job und eine Familie, ich bin nicht alleine – und trotzdem ging es mir schlecht. Die Prominenten, die im Buch vorkommen, waren da wie ein Spiegelbild: Ich habe erkannt, dass es keinen Grund braucht, um an dieser Krankheit zu erkranken. Das kann einem auch passieren, wenn vermeintlich alles – nach außen hin – läuft. Indem ich diese Betroffenen ernster genommen habe, konnte ich auch mich selbst ernstnehmen.

KNA: Sie schildern auch die Bedenken, dass das immer noch schwierige Thema ewig mit dem eigenen Namen verknüpft sein könnte. Welche Erfahrungen haben Sie inzwischen gemacht?

Salie: Ich war verblüfft, als mir vor wenigen Tagen ein Bekannter eine Sprachnachricht geschickt hat: Er hätte jetzt von meinem Buch gehört, also auch davon, dass ich an Depressionen erkrankt war. Die Nachricht war so zugewandt und freundlich – und derjenige hat selbst aufgemacht und davon berichtet, dass er selbst einmal in einer psychosomatischen Klinik war. Solche Erfahrungen mache ich durchgehend. Ich hatte ein bisschen Bammel, die Leute könnten einen für weniger arbeitsfähig oder für unzuverlässig halten – aber das Gegenteil ist der Fall.

KNA: Gibt es ein Klischee über Depressionen, das Sie nicht mehr hören können?

Salie: Es gibt zwei. Einmal, dass Menschen, die an Depressionen erkrankt sind, generell nicht belastbar seien und ihren Job nicht mehr machen könnten. An mir konnte man sehen, dass das nicht unbedingt so sein muss: Ich habe in der Depression gearbeitet wie blöd – und bei fast allen, die ich für das Buch interviewt habe, war es ähnlich, bis der Körper dem ein Ende gesetzt hat. Viele Betroffene sind sogar noch akribischer und leistungsstärker, weil sie nicht auffliegen wollen. Der Schriftsteller Till Raether hält fest, dass Menschen mit einer hochfunktionalen Depression geradezu daher ideale Arbeitnehmer sind.

KNA: Und zweitens?

Salie: Besonders geärgert haben mich klischeehafte Vorstellungen von der Erkrankung selbst: Depressive Menschen liegen den ganzen Tag auf dem Sofa, stehen nie auf und weinen ununterbrochen. Das gibt es – aber bei mir war es ganz anders. Zugleich war ich selbst diesem Klischee aufgesessen und habe daher lange geglaubt, Depressionen könnten es bei mir nicht sein. Diese unterschiedlichen Erscheinungsformen abzubilden, war mir wichtig.

KNA: Der Kabarettist Torsten Sträter sagt in Ihrem Buch, es sollte “eine ganze Bibliothek voll mit solchen Geschichten” geben.

Salie: In meiner privaten Bibliothek sind zwei Fächer gefüllt mit Büchern, die mich gestützt haben, und ich kaufe immer noch viel zum Thema. Ich finde es faszinierend, mir die verschiedenen Facetten anzusehen und hier und da auf einen Weg zu kommen, der mir noch unbekannt war. Ich glaube, diese große Bibliothek entsteht momentan.

KNA: Hat sich die Wahrnehmung psychischer Erkrankungen durch die Corona-Zeit verändert?

Salie: Ich glaube, es hat sich nachhaltig etwas verändert. Die Schauspielerin Nora Tschirner hat sich als eine der ersten Prominenten kurz vor der Pandemie erstmals zu ihren Depressionen geäußert, viele andere sind gefolgt, auch zu Themen wie Angststörungen und anderen Erfahrungen, die zuvor oft abgetan wurden. Das ist aus meiner Sicht ein guter Weg.

KNA: Momentan fühlen sich viele Menschen stark belastet. Wann beginnt eine psychische Erkrankung?

Salie: Wenn man das Gefühl hat, aus dem dunklen Loch gar nicht mehr rauszukommen, wenn das über Wochen anhält, dann erscheint es mir sinnvoll, sich zu öffnen. Zunächst kann man den Partner oder eine Freundin fragen, wie diejenigen einen wahrnehmen. Mir haben seinerzeit zig Leute signalisiert, dass ich mich verändert hatte. Dann braucht es Hilfe von Fachleuten. Auch körperliche Symptome, die immer wieder kommen, würde ich ernstnehmen, etwa Nackenschmerzen, Magen-Darm-Probleme oder Schlafstörungen.

KNA: Manche warnen vor einer Banalisierung von Diagnosen. Wie sehen Sie diese Debatte?

Salie: Vorsicht ist berechtigt. Ob jemand beispielsweise trauert oder Anzeichen einer Depression zeigt, können nur Fachleute entscheiden. Da helfen Selbsthilfeliteratur und tausende Posts auf Insta nur sehr begrenzt. Wer durch diese Inhalte das Gefühl hat: Oh, das passt dazu, wie ich mich fühle – der sollte den Schritt einer professionellen Beratung nicht auslassen. So einfach, dass man sich selbst diagnostizieren kann, ist es nicht.

KNA: Angehörige von depressiv erkrankten Menschen fühlen sich oft hilflos. Haben Sie einen Tipp?

Salie: Hilfreich für Betroffene wie auch für das Umfeld sind offizielle Anlaufstellen: die Deutsche Depressionsliga oder die Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Auch Bücher können etwas nachvollziehbar machen, das Nichtbetroffene – zum Glück – kaum nachvollziehen können. “Ziemlich gute Gründe, am Leben zu bleiben” von Matt Haig habe ich mehrfach verschenkt, denn in einer Krankheitsphase ist es oft schwer, sich selbst zu erklären.

Das Wichtigste ist, Betroffenen zu glauben. Die bilden sich nichts ein, die sind nicht “mimimi” und stellen sich nicht an. Wenn ein depressiv erkrankter Mensch sagt, dass er gerade nicht einmal aufstehen kann, dann bringt es nichts, zu sagen: “Ach komm! Schau mal, die Sonne scheint.” Wichtig ist, zuzuhören, da zu bleiben und das Leid ernst zu nehmen.

KNA: Was müsste sich auf politischer Ebene ändern?

Salie: Einerseits wünsche ich mir mehr Therapieplätze für Kassenpatient*innen, denn der Bedarf ist da. Schön fände ich es zudem, wenn wir alle mehr zu unseren Gefühlen stehen würden. Vieles lässt sich auffangen, wenn man eine Verstimmung bemerkt und darüber spricht. Umgekehrt wird es eher schlimmer, wenn Menschen sich nichts anmerken lassen wollen aus Angst, für jemanden gehalten zu werden, der sich anstellt. Offen mit Gefühlen umzugehen, wäre ein wichtiger erster Schritt, zu dem jede und jeder Einzelne etwas beitragen kann.