Der Tonkünstler Ralf Hoyer komponierte ein Luther-Oratorium „mit Biss“
Von Ulrike Mattern
Blickt man auf die Lutherdekade, scheint es keinen Mangel an Oratorien zu geben, die sich emsig dem Reformator widmen. War es wirklich notwendig, ein weiteres Musikwerk hinzuzufügen? Der Komponist Ralf Hoyer reagiert gelassen auf die ketzerische Frage. Er glaube, sagt er, dass sein „Wachet recht auff – ein Oratorium zu Luther“ einen ganz eigenen Charakter habe. Es gebe „geistige Nahrung mit Biss“. „Es kann, ohne dass es sich anbiedern will, was die Stilistik anbelangt, auch von einem ungeübten Publikum erfahren werden“, sagt Hoyer. „Es zeigt zudem keinen weichgespülten Luther: Die problematischen Seiten, zum Beispiel sein Judenhass, werden nicht unter den Tisch gekehrt.“ Der Komponist, 1950 in Ost-Berlin geboren, begann mit der Arbeit an der Partitur Ende 2015. Ein Arbeitsstipendium der Deutschen Akademie Rom führte ihn für drei Monate in die Casa Baldi in Olevano Romano, eine kleine Gemeinde rund 50 Kilometer von der italienischen Hauptstadt entfernt. Hoyer kommt ins Schwärmen, wenn er von diesem Aufenthalt erzählt. Nicht nur sein künstlerisches Werk kam dort voran. Er lernte Italienisch, tauchte bei Ausflügen nach Capri und zu den antiken Stätten bei Tivoli in die Kultur ein.Dorthin schickte ihm die Schriftstellerin Kerstin Hensel erste Entwürfe zum Libretto des Oratoriums. „Diese Texte lagen so gut im Mund.“ Das Publikum wird an drei Stellen mitsingen können. „Luther hat auch über die Kirchenlieder, über die Gemeinsamkeit des Singens, die Reformation weitergetragen. Manche sagen, sogar mehr als über seine Predigten“, meint Hoyer. Die Gemeinden werden mit ihren Kirchen- und Posaunenchören einbezogen. „Das ist kein implantiertes Gastspiel.“ Das Arbeitsgebiet des Komponisten, der heute in Brandenburg wohnt, ist neben dieser „zeitgenössischen Musik mit einer dramatischen Formensprache“ breit gefächert. 2013 schuf er eine Roboter-Fußball-Performance. Er kreiert Klanginstallationen, macht elektronische Musik, arbeitet für Hörspiel und Theater. Hoyer stammt aus einem musikalischen Elternhaus. Sein Vater war Komponist, „den kennt aber heute niemand mehr“. Er schrieb Operetten und Filmmusiken. Hoyer bewarb sich nach der Schule um einen der begehrten Plätze für das Studium zum Tonmeister. Und bekam eine Zusage. Ihn habe die Verbindung von Musik und Technik interessiert, erzählt er. Trotzdem fehlte ihm in seinem ersten Job für die VEB Deutsche Schallplatten „plötzlich das Musikalische“. Drei Jahre als Meisterschüler für Komposition an der Akademie der Künste sorgten für Ausgleich. Seit 1980 arbeitet Hoyer freischaffend als Komponist. Dabei kümmert er sich nicht nur um sein eigenes künstlerisches Fortkommen, sondern engagiert sich auch für seine Berufsgruppe. 1991 gründete er mit Kolleginnen und Kollegen aus West und Ost die Initiative Neue Musik Berlin. „Es gab damals diese riesige Aufbruchsstimmung. Es war mir wichtig, etwas mitzugestalten.“Heute ist der 67-Jährige aktiv beim Brandenburgischen Verein für Neue Musik und bei der GEMA geschäftsführender Kurator der Sozialkasse für die Komponisten. Geht man als Tonkünstler jemals in Rente? Hoyer lacht. „Ich bin Rentner, aber meine Rente ist gering. Ich muss also weitermachen. Aber ich kann mir nichts Besseres vorstellen. Es ist das beste Mittel gegen Verblödung im Alter.“
„Wachet recht auff“, ein Oratorium zu Luther,Dom zu Halberstadt, 16.9., 18 Uhr, freier Eintritt; Dom zu Brandenburg, 17.9., 17 Uhr, Tickets 15, ermäßigt 13 Euro; Stadtkirche Bayreuth, 23.9., 19.30 Uhr, Tickets 19, ermäßigt 15 Euro.