Es gibt viele Wege in die Sucht – aber auch viele Möglichkeiten herauszukommen. Zwei Betroffene erzählen, wie ihnen ein Online-Training wieder Selbstkontrolle brachte.
Ob es ein weniger hartes Wort für “Fress-Sucht” gibt, das kann Marius Krauße nicht sagen. “Ich erkläre immer jovial: Mein Problem sind Zucker und Fett”, sagt der Mann aus Niedersachsen. Irgendwann sei ihm klar geworden: Egal, wie man sein Problem nennt, es müsse gelöst werden. Sein Weg führte ihn dann nicht zur Therapie, sondern zum “SKOLL-Training”. Das Angebot der Caritas im Bistum Osnabrück ist ein Digitalkurs, bei dem sich Krauße mit anderen Menschen austauschen und Selbstkontrolle lernen konnte – per Videokonferenz.
Aber sind Gespräche per Computer ein passender Ersatz für persönliche Suchtberatung? Gianna Niemeyer von der Caritas sagt: Ja. Sie ist SKOLL-Trainerin und erklärt, wie dieses Konzept funktioniert.
“SKOLL, das steht für Selbstkontrolltraining”, so Niemeyer. Das Projekt startete im Jahr 2003 in Osnabrück und wurde später deutschlandweit in anderen Einrichtungen eingeführt. SKOLL soll Menschen mit Konsumproblemen helfen, sich selbst zu kontrollieren: Hilfe zur Selbsthilfe statt Anleitung zur Abstinenz. “Die Nähe des Namens zum skandinavischen Wort für ‘Prost’ ist beabsichtigt. Wir wollen den Leuten helfen, ihre eigenen Entscheidungen zum Konsum zu treffen”, erläutert Niemeyer, die inzwischen selbst neue Trainer ausbildet.
Die Kurse laufen über zehn Sitzungen. Neben der digitalen gibt es auch eine Version in Präsenz. Das Konzept ist offen für jeden. “SKOLL ist unabhängig von Substanz, Alter, Geschlecht und Problemen”, so Niemeyer. “Dadurch machen die Teilnehmer früh die Erfahrung, dass viele Menschen mit verschiedenen Sorgen in ähnlichen Situationen sind.”
Wie verschieden die Teilnehmer und ihre Probleme sind, das zeigt Dennis Nieragden, der zusammen mit Krauße ein Training bei SKOLL-Digital durchlaufen hat. Der junge Mann erklärt, er sei nicht wegen einer Essstörung, sondern wegen zu starken Alkoholkonsums regelmäßig in Schwierigkeiten geraten. So habe er seinen Führerschein verloren: “Bei mir war es eine gesetzliche Vorgabe, mich an die Caritas zu wenden. Dort wurde mir dann SKOLL empfohlen.”
Beide sind vom digitalen Konzept überzeugt – auch, weil es kaum eine Einstiegshürde gebe. “Man muss nirgends hinfahren, das wäre für mich ohne Führerschein auch schwierig gewesen. Außerdem klingt es schon hart, wenn man sagt, ich gehe in die Klinik oder zum Psychologen. Bei SKOLL ist man zu Hause, im Vertrauten. Und anstatt mit Fragen gelöchert zu werden, kann man sich öffnen, wie man will”, sagt Nieragden. Krauße helfen die Online-Kurse bei der Konzentration: “Man ist in einem geschützten Bereich. Und direkt nach dem Kurs ist man alleine und kann über das Gelernte nachdenken, statt zu schauen, wie man nach Hause kommt.”
Kritik aus der Fachwelt, dass solche Video-Schalten kein Ersatz für eine echte Therapie seien, können die beiden zwar verstehen. Ihnen und den anderen Kursteilnehmern habe das Konzept aber geholfen. “Wenn ich mich mit fünf oder zehn Menschen abspreche, dieses oder jenes Ziel zu erreichen, dann habe ich nicht nur Verantwortung mir gegenüber, sondern auch gegenüber den anderen Teilnehmern”, meint Krauße. Er habe seine Ziele verwirklichen wollen, um andere zu motivieren. Und Nieragden ergänzt, ihm hätten die Tipps von Leuten mit ganz anderen Problemen geholfen. Jetzt überlege er sich genau, wie, wann und ob er überhaupt Alkohol konsumiere.
Aber was ist, wenn die Selbstkontrolle einmal nicht funktioniert und die Teilnehmer ihre Ziele verfehlen? “Dann ist auch das eine super Erkenntnis, wenn das jemand feststellt”, meint Trainerin Niemeyer. Der nächste Schritt sei dann vielleicht eine Therapie; sie habe schon viele Menschen dorthin vermittelt. Im Normalfall könne SKOLL den Teilnehmern aber helfen: “Wir machen nach den Kursen Zufriedenheitsabfragen. Die meisten sagen, SKOLL habe sie weitergebracht.”