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Memorial-Gründerin Scherbakowa: Frieden mit Putin ist nicht möglich

Keine schnellen Entscheidungen im Krieg Russlands gegen die Ukraine erwartet Irina Scherbakowa, Mitgründerin der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial. Memorial wurde im vergangenen Jahr mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet, in Russland ist die Organisation inzwischen verboten. „Ein Ende des Krieges ist nicht in Sicht, ein Frieden mit Putin ist nicht möglich“, sagte Scherbakowa am Dienstagabend auf einer Veranstaltung der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten und der Volkshochschule in Celle.

Die Germanistin lebt seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine in Deutschland und Israel. Sie kritisierte die Zwistigkeiten zwischen den im Ausland lebenden Russen und Ukrainern. „Es kommt Putin zugute, wenn wir uns im Exil bekriegen. Wir haben einen schrecklichen gemeinsamen Feind.“

Laut Scherbakowa unterstützten in Russland rund 60 Prozent der Bevölkerung den Kriegskurs von Putin. Dabei vertrauten die meisten Menschen vor allem auf dem Lande der Lügenpropaganda der russischen Medien. Insgesamt seien Apathie und Misstrauen im Lande verbreitet, man mische sich nicht in politische Fragen ein.

Ein Klima der Angst werde unter anderem durch hohe Haftstrafen gegen Andersdenkende geschürt. Denunziantentum sei überall anzutreffen. „Es werden in Russland gezielt Hass und Menschenverachtung gegen Feinde verbreitet, Gewalt ist ein wesentliches Merkmal des Systems. Es wird heute so viel gefoltert wie seit Stalins Tod nicht mehr“, sagte Scherbakowa.

Nach ihren Angaben organisiert eine Tochterorganisation von Memorial in Russland Unterstützung für politische Häftlinge sowie für die Anwälte, die sie verteidigen. Zudem versuche man Ukrainern zu helfen, die zum Beispiel nach der Eroberung der ukrainischen Stadt Mariupol nach Russland gedrängt wurden und die Russland in Richtung Westen verlassen wollen.

Memorial war Ende der 1980er-Jahre die erste unabhängige Vereinigung, die sich der Aufarbeitung der politischen Gewaltherrschaft in der Sowjetunion widmete. Eine Datenbank mit den Namen von mehr als 3,5 Millionen Opfern wurde aufgebaut, Hinterbliebene konnten erstmals Näheres über das Schicksal ihrer verfolgten und gestorbenen Angehörigen erfahren. Zudem wurden auch die Namen von mehr als 40 000 Tätern öffentlich gemacht. Doch bereits in den 1990er-Jahren wurde unter Putin Kritik am stalinistischen System zunehmend aus der öffentlichen Diskussion verbannt. Scherbakowa: „Die Zahl der Stalin-Denkmäler hat seit 2005 spürbar zugenommen.“