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Mehr als Mann und Frau

Das dritte Geschlecht kommt. Bis Ende dieses Jahres wird ein Gesetz verabschiedet, das intersexuellen Menschen einen eigenen Geschlechtseintrag im Personenstandsregister zuspricht. Auch in den Kirchenbüchern wird es zukünftig also nicht nur Mann und Frau geben, sondern auch „weiteres“, „divers“ oder „inter“ – die Bezeichnung steht noch nicht fest. Doch wie groß ist die Anerkennung Intersexueller innerhalb der Kirche? Markus Kowalski über das neue Gesetz und ein theologisches Umdenken.

Intersexuelle werden bald offiziell als drittes Geschlecht anerkannt. Die Kirchen unterstützten ihre Anliegen bislang kaum.

Von Markus Kowalski

Aus Karlsruhe ereilte das Land im November letzten Jahres eine kleine Revolution. Die Folgen werden wir erst jetzt langsam spüren. Der Beschluss der Richter*innen war eindeutig: Intersexuelle Menschen haben ein Recht auf einen eigenen, positiven Geschlechtseintrag im Personenstandsregister.

Das dritte Geschlecht kommt. Ein entsprechendes Gesetz muss bis Ende dieses Jahres verabschiedet werden. Das Bundesinnenministerium überarbeitet derzeit den Entwurf. Als Bezeichnung für die dritte Geschlechtskategorie ist momentan „weiteres“ vorgesehen. Intersexuelle Aktivist*innen kämpfen derzeit dafür, Bezeichnungen wie „divers“ oder „inter“ als mögliche Optionen ins Gesetz zu schreiben.

Die dritte Geschlechtsoption wird dann auch in den Kirchenbüchern übernommen werden. Die elektronischen Kirchenbücher innerhalb der EKD tauschen die Daten der Kirchenmitglieder, darunter das Geschlecht, mit den staatlichen Meldebehörden aus. „Aktuell sind daher in den Kirchenbüchern wie auch im Meldewesen drei Angaben möglich: Männlich, weiblich, ohne Angabe (m/w/x)“, sagt EKD-Sprecher Carsten Splitt. Denn bislang ist es intersexuellen Menschen nur möglich, statt „männlich“ oder „weiblich“ den Eintrag wegzulassen. Wird bis Ende des Jahres eine neue, positive Bezeichnung eingeführt, werden die Kirchenbücher diese Angabe ebenso berücksichtigen, so Splitt.

Für intersexuelle Menschen ist der positive Geschlechtseintrag ein wichtiges Anliegen. Denn sie wurden von Politik und Gesellschaft lange totgeschwiegen. Intersexuelle werden mit geschlechtlichen Merkmalen geboren, die sie weder als „männlich“ noch „weiblich“ definieren lassen wollen.

Die Medizin definiert mehrere Formen von Intersexualität, je nachdem, wie äußere und innere Geschlechtsmerkmale und Hormone ausgeprägt sind. Lange Zeit wurden sie abwertend als Hermaphroditen bezeichnet. Heute nennen sich viele „intergeschlechtlich“, „intersexuell“ oder kurz „inter“. Schätzungen zufolge leben rund 160 000 intersexuelle Menschen in Deutschland.

Lucie Veith, Ehrenvorsitzende des „Intersexuelle Menschen e.V.“, die mit weiblichen Pronomen angesprochen werden möchte, war froh über das Urteil aus Karlsruhe. Jedoch: Nun seien die Kirchen in der Pflicht, sich gegen die Diskriminierung von Intersexuellen einzusetzen.

Für Veith, selbst gläubige Christin, geht es dabei um die Definition des christlichen Familienbilds. „Gerade in erzkonservativen Familien ist der Druck sehr groß, das Geschlecht zu normieren“, sagt sie. Intersexuelle Neugeborene werden bis heute kurz nach der Geburt operiert, um das Geschlecht zu „korrigieren“. Seit langem ist bekannt, dass Ärzt*innen verunsicherte Eltern dazu drängen, der Operation zuzustimmen. Für Veith ist das Genitalverstümmelung. „Ich fordere die Kirchen auf, sich vehement dagegen einzusetzen“, sagt sie. Denn die Kirchen seien in der Position, auf das Familienbild Einfluss zu nehmen.

Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, fordert ebenso eine Debatte über die Anerkennung Intersexueller: „Wir müssen dazu beitragen, dieses Thema zu entmoralisieren.“ Er will ein Umdenken in der Kirche, ähnlich wie in der jahrzehntelangen Debatte um Homosexualität. Man könne „also nicht etwa sagen, das können sich Menschen frei aussuchen oder es ist eine Frage ihrer sexuellen Moral, sondern es geht darum, Menschen in ihrer Grundprägung zu akzeptieren“, schreibt er im Buch „Reformation für alle – Transsexualität und Kirche“.

Die Debatte in den Gender- Wissenschaften geht deutlich weiter. Längst ist dort klar, dass sich Geschlechter- Kategorien früher oder später auflösen müssen. Denn die biologische Forschung hat gezeigt: Die geschlechtlichen Identitäten der Menschen bilden keine eindeutigen zwei Kategorien „Mann“ und „Frau“, sondern eher ein Kontinuum an „eher männlich“ und „eher weiblich“, ein Dazwischen. Lateinisch: inter.

Was das für die theologische Debatte über Menschsein und Geschlechtlichkeit bedeutet, ist noch nicht abzusehen. Conrad Krannich, wissenschaftlicher Mitarbeiter der theologischen Fakultät der Universität Halle-Wittenberg, hat mit dem Band „Geschlecht als Gabe und Aufgabe“ einen theologischen Blick auf Intersexualität gewagt. Darin schreibt er: „Die geschlechtliche Vieldeutigkeit und Nichteindeutigkeit muss theologisch genauer bestimmt werden als Aspekt des Leibes, der als Ganzer letztlich unerschlossen, unverständlich und unverfügbar bleibt.“

Die Schöpfungsgeschichte werde so eine andere Bedeutung bekommen: „Gott schuf den Menschen nicht nur als Mann und Frau.“ Seine Erschaffung gipfele nicht in seiner Geschlechtlichkeit. Das sei die „eigentliche Pointe“ der Schöpfungsberichte.